Schicksal!
Kontakt kommen. Es ist wie das Konzept des Kleine-Welt-Phänomens – nur dass man nicht eine bestimmte Anzahl von Schritten davon entfernt ist, jede Person auf der Welt zu kennen. Vielmehr ist jeder Mensch eine gewisse Anzahl von Schritten davon entfernt, Einfluss auf das Schicksal jedes anderen Menschen auf der Erde zu nehmen.
Ein nettes Wort, das eine Person zu einer anderen sagt, kann zu einem weiteren netten Wort führen, und so kann sich das Gute in einer Kettenreaktion von weiteren Taten oder Worten fortpflanzen und schließlich den Pfad jedes einzelnen Beteiligten verändern. Genauso können aber eben auch geringschätzige Worte oder Gewalt größeren Einfluss gewinnen und mehrere Ziele als nur den ursprünglichen Empfänger treffen. Denkt nur an Ed Gein oder Ted Bundy oder jeden anderen Verbrecher, Vergewaltiger oder Serienmörder in der Geschichte. Die Anzahl an Leben, die sie beeinflusst haben, hätte dann unüberschaubar groß sein können.
Natürlich rechne ich nicht ernsthaft damit, dass Nicolas Jansen seine neu gefundenen Klosterbrüder in Stücke hackt oder dass George und Carla Baer anfangen, ihren Gefrierschrank mit menschlichen Körperteilen zu bestücken. Dennoch muss ich die Konsequenzen meiner Handlungen überdenken.
All die Menschen, die Nicolas Jansens Verbrecher- und Drogenkarriere zum Opfer gefallen wären, werden diese Erfahrung in ihrem Leben nun nicht mehr machen. Alle zukünftigen Zellengenossen, Dealer und Bekannten von der Straße werden seinen negativen Einfluss nicht kennenlernen. Und all diejenigen, die versucht hätten, ihm zu helfen, werden sich nicht mehr der Enttäuschung über sein Versagen stellen müssen.
Seine Eltern haben schließlich doch noch Hoffnung für seine Zukunft. Die anderen Mönche im orthodoxen Kloster von Saint-Nicolas werden den Einfluss ihres neuen Bruders spüren. Und die Menschen, mit denen er in Kontakt kommt, werden durch seine Worte und Taten inspiriert.
Auch George und Carla Baer werden ihre Unsicherheiten oder Neurosen nun nicht mehr an anderen auslassen. Sie werden glücklichere Menschen sein, ihre Freude mit den anderen Menschen in ihrem Leben teilen, und diese Leute werden dadurch auf positive Art beeinflusst und diese Schwingungen an die Leute weiterreichen, die sie kennen und treffen. Und so weiter und so weiter und so weiter.
Und ohne es zu wollen, habe ich so in die Leben von mehreren Millionen Menschen eingegriffen. In einige mehr als in andere. Aber bei Licht betrachtet sind sie alle heute irgendwie besser dran, als sie es noch gestern gewesen sind. Und die meisten von ihnen wissen es nicht einmal. Sie sind ganz einfach ihrem Schicksal ergeben. Mir. Den Veränderungen in ihrem Leben.
Und ich frage mich, ob ich damit durchkommen werde.
»Womit durchkommen?«, fragt Sara.
Anscheinend habe ich schon wieder laut gedacht.
Sara und ich kuscheln auf ihrer Couch, schauen auf dem Reisekanal die Sendung
Eine Frage des Geschmacks,
in der der Koch Anthony Bourdain um die Welt reist und regionale Spezialitäten präsentiert, und essen Popcorn. So etwas habe ich nie zuvor während meiner gesamten Existenz getan. Nichts davon. Ich habe nie gekuschelt, ich habe nie den Reisekanal eingeschaltet, und ich hasse Popcorn. Wenn Styropor eine Geschmacksrichtung hätte, würde es sicher wie Popcorn schmecken. Aber ich erlebe all das zusammen mit Sara und tue so, als würde ich es mögen, weil ich alles, was ich mit Sara zusammen erleben kann, ohnehin genieße.
»Nichts«, erwidere ich. »Nur Kram von der Arbeit.«
»Was für ein Kram von der Arbeit?«, erkundigt sich Sara und greift sich eine Handvoll Popcorn, während Anthony Bourdain sich quer durch Neapel frisst.
Das ist ein weiteres der vielen Probleme, die sich ergeben, wenn man sich mit einer Sterblichen trifft. Sie will über alles reden.
Probleme.
Gefühle.
Sex.
Normalerweise waren es nie mehr als One-Night-Stands, wenn ich mit einer sterblichen Frau auf Tuchfühlung gegangen bin. Selbst meine Stelldicheins mit anderen Unsterblichen kann man kaum als Beziehungen bezeichnen. Und obwohl
Bestimmung
und ich uns fast die gesamte Zeit unserer Existenz irgendwie und dann auch wieder nicht nahe gewesen sind, waren wir doch nie im eigentlichen Sinne zusammen.
Diese tiefen, bedeutungsvollen Gespräche, die man führt, um sich erst mal zu beschnuppern, gehören nicht zu den Dingen, die ich kenne. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass jede bedeutsame Unterhaltung auch beinhaltet, dass ich
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