Schicksal!
eingegriffen hatte, habe ich zuerst überlegt, wie ich die Sache richten könnte. Ich habe mich gefragt, wie ich meine Menschen zurück auf den Pfad schieben könnte, auf dem sie gewandelt sind, ehe ich ihnen in die Quere gekommen bin. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich, dass es unmöglich ist, die Ausgangssituation wiederherzustellen. Und ich würde es auch nicht wollen, selbst wenn ich es könnte.
Meine ganze Existenz hindurch habe ich immer und jederzeit gewusst, was als Nächstes passieren würde. Mir selbst und meinen Menschen. Doch nun ist plötzlich und unerwartet etwas Neues in mein Leben getreten. Die Ungewissheit. Das Unbekannte. Und damit die Spannung. Ich finde es aufregend, nicht zu wissen, was geschehen wird. Mit mir. Mit Sara. Mit den drei Menschen, denen ich geholfen habe, einen besseren Pfad für sich zu wählen.
Und plötzlich ist dieser Gedanke da: Was, wenn ich es noch einmal täte? Würde ich auch damit durchkommen?
Klar, Jerry ist bestimmt kein allwissendes Wesen geworden, weil er bloß Shoppingkurse belegt hat oder während der Physikstunden eingeschlafen ist. Also besteht eine reelle Chance, dass er irgendwann dahinterkommt. Es sei denn, er ist so beschäftigt, dass ich weiterhin unter seinem Radar bleibe. Was möglich ist. Jerry ist zunehmend eingespannt, so dass auch er allmählich dazu neigt, die Dinge schleifenzulassen. Außer wenn diese Dinge
Bestimmung
oder
Schicksal
oder eine der Offenbarungen betreffen. Also muss ich vorsichtig sein, wenn ich mich in die Leben meiner Menschen einmische.
Und in diesem Augenblick wird mir klar, dass ich die erste Regel brechen werde. Auf der anderen Seite: Wenn ich nur Vorschläge mache, subtile Hinweise gebe, einen sanften Stups in die richtige Richtung, dann ist es ja nicht so, dass ich die Parameter ihrer zugewiesenen Schicksale direkt verändern würde. Ich helfe ihnen einfach nur dabei, ihren ursprünglichen Pfad wiederzufinden. Helfe ihnen, ihre Zukunft zu optimieren. Und wenn ich einigen von ihnen unter die Arme greifen kann, indem ich ihnen den richtigen Weg weise, indem ich ihre Schicksale angleiche, ohne auf die Fehlentscheidungen zu achten, die sie in ihrem Leben getroffen haben, dann … kann ich mir vielleicht auch selbst helfen. Vielleicht kann ich sie dadurch wiederfinden, diese Liebe, die mich einst mit meinem Job verbunden hat.
Zum ersten Mal seit fünfhundert Jahren fühle ich mich, als könnte ich etwas bewegen.
19
D as letzte Mal, dass ich mich fühlte, als würde mein Tun etwas bedeuten, war in den Jahren der Renaissance. Klar,
Bestimmung
hatte den Löwenanteil der Leute, die für die Wiedergeburt der menschlichen Weiterentwicklung verantwortlich waren: Cervantes, da Vinci, Shakespeare. Aber statt wie so viele meiner Klienten während der Blütezeit Roms an die Löwen verfüttert zu werden, spielten diejenigen auf meiner Liste während der Renaissance – Dante, Botticelli, Raphael – wenigstens eine Rolle bei der Veränderung der menschlichen Existenz zum Besseren.
Seitdem ging es zusehends bergab.
Klar, große Denker, Wissenschaftler und Maler wie Nietzsche, Edison und van Gogh gab es auch danach, doch sie waren eben nicht auf meinem Pfad. Nein, ich bin auf Missionaren, Diktatoren und Präsidenten sitzengeblieben, die Religion verbreiteten, Krieg führten und Atombomben abwerfen ließen. Ganz zu schweigen davon, dass ich die Millionen Schicksale jener Menschen ertragen musste, die direkt oder indirekt durch ihre eigenen Aktionen starben.
Seit ich also entdeckt habe, dass ich auch jetzt, in den Schicksalen der Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, etwas bewegen kann – selbst wenn ich nur einen Drogenabhängigen in ein französisches Kloster schicke oder einem dysfunktionalen Ehepaar eine Zukunft im Sadomasochismus geben kann –, fühle ich mich fast, als hätte ich eine neue Art von Freude an dem Unvermeidlichen gefunden. Als hätte ich die Möglichkeit, mich selbst neu zu erfinden.
Ein neues und verbessertes Schicksal.
Wohltäter für die Menschheit.
Oder zumindest für die menschlichen Totalschäden.
Mein erster offizieller Versuch, das Schicksal eines Menschen aktiv zu beeinflussen, ist Amanda Drake, eine fünfundvierzigjährige Crystal-Meth-Süchtige, die im East End von London lebt. Den Großteil ihres Lebens hat sie damit verbracht, die gesamte Liste der Methamphetamine rauf und runter zu nehmen, und ist für Ladendiebstahl, Betrug, einfachen Diebstahl und Vortäuschung,
Weitere Kostenlose Bücher