Schicksal!
Unschuldsmiene.
Ein paar Augenblicke starrt er mich nur an – ihr wisst schon: so wie Gott das eben macht, wenn er weiß, dass du nicht die Wahrheit sagst. Deshalb bin ich wirklich kurz davor, einzuknicken und alles zuzugeben. Ihm zu gestehen, dass es stimmt. Dass ich mich in eine sterbliche Frau verliebt habe, die auf dem Pfad der Bestimmung wandelt. Doch dann dreht Jerry den Flachbildschirm seines Computers zu mir herum und sagt: »Laut der letzten Datensätze, die mir hier vorliegen, scheint es so, als hätten deine Klienten im letzten Quartal eine neunundsiebzigprozentige Erfolgsrate vorzuweisen.«
Ich starre auf die Tabellen auf dem Monitor und bin viel zu erstaunt, um sofort zu antworten. Ich hatte nicht erwartet, damit konfrontiert zu werden, als ich zu Jerry gerufen wurde – was bedeutet, dass meine einstudierten Ausreden nicht funktionieren werden. Außerdem kann ich die Zahl kaum glauben. Neunundsiebzig Prozent.
»Wow«, sage ich, unterdrücke ein Lächeln und habe ansonsten dieselbe erstaunte Miene aufgesetzt wie damals, als Caligulas Wachen anrückten, um ihn umzubringen. Also, das hätte er auch selbst kommen sehen müssen.
»Das ist eine ganz schön hohe Zahl an erst kürzlich evolvierten Säugetieren, die sich für den exakt richtigen Lebenspfad entschieden haben«, meint Jerry. »Hinzu kommt, dass deine bisherige Bestmarke bei achtundsechzig Prozent lag. Und das war während des Zeitalters der Aufklärung.«
Voltaire, Descartes und die anderen großen Denker propagierten nicht nur die Ansicht, die Menschheit besäße die Fähigkeit, das Universum zu verstehen. Während der Aufklärung verkündeten sie überdies das Konzept des rationalen Willens, wonach Menschen ihre eigenen Entscheidungen treffen und somit keinem Schicksal unterworfen sind.
Voltaire und Descartes waren aufgeblasene Idioten.
»Ich muss wohl einfach Glück gehabt haben«, sage ich und lege das Lächeln auf, das ich mir von
Demut
geliehen habe.
»Glück? Erzähl nicht so einen Scheiß«, sagt Jerry, nimmt seine Füße vom Tisch und beugt sich mit aufgestützten Händen so schnell vor, dass mein Lächeln sich augenblicklich auflöst.
Verfluchte
Demut.
Ich will mein Geld zurück.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erwidere ich.
»Verarsch mich nicht«, warnt Jerry mich. »Verdammt noch mal, ich bin der Schöpfer. Ich bin nicht erst während der letzten Eiszeit geboren worden.«
Guter Punkt.
»Es gibt nur eine Erklärung für eine so hohe Erfolgsrate bei der Umsetzung der Schicksale«, stellt Jerry fest. »Du brichst Regel Nummer eins. Und du solltest es besser wissen: emotional auf Abstand bleiben! Andere sind in dem Fall entschuldigt, so wie zum Beispiel
Mut, Neid, Stolz …
«
»Er ist schwul, weißt du«, werfe ich ein.
»Wirklich?«, gibt Jerry zurück. »Nun, das erklärt einiges. Aber es ist keine Entschuldigung dafür, dass
du
dich in die Leben der Menschen eingemischt hast. Du musst dir die Konsequenzen deines Handelns vor Augen halten, Sergio. Du bist Schicksal, Himmelherrgott noch mal.«
Ich nicke nur. Es bleibt einem nicht viel zu sagen übrig, wenn Jerry seinen eigenen Namen missbraucht.
»Also gut. Jedenfalls will ich dich wegen dieser Sache nicht noch einmal herbestellen müssen«, ermahnt Jerry mich. »Ansonsten bin ich gezwungen, empfindliche Strafen zu verhängen. Haben wir uns verstanden?«
Ich nicke erneut.
»Gut«, sagt Jerry. »Und jetzt scher dich raus. Ich hab hier ein Universum, das ich am Laufen halten muss.«
29
I n den letzten paar Monaten habe ich festgestellt, dass es riesig viel Arbeit macht, wenn man den Menschen zu helfen versucht, statt nur dabei zuzusehen, wie sie ihre Leben in den Dreck fahren. Vermutlich ist das so ähnlich, als hätte man ein Kind. Aber da ich mich außer um ein paar Wollmammuts und eine Python, die in den Siebzigern in der Toilette verschwunden ist, nie ernsthaft um etwas gekümmert habe, habe ich auch nie begriffen, wie befriedigend eine Elternschaft sein kann. Oder wie schwer es ist, danebenzustehen und zuzuschauen, wie deine Kinder alle möglichen Fehler machen, obwohl du ihnen durch deine Hilfe eine Menge Herzschmerz und Enttäuschung hättest ersparen können.
Rein technisch betrachtet hat Jerry mir nicht verboten, mich weiter in die Schicksale meiner Menschen einzumischen. Er hat mir nur gesagt, dass ich es besser wissen müsste und dass ich über die Konsequenzen meiner Taten nachdenken soll. Und während man mit diesem Argument in der irdischen
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