Schicksal!
Objekt, das eure Fähigkeiten repräsentiert. Meine Visualisierung – mein lebloses Objekt, das für das Schicksal der menschlichen Rasse stand – war eine Benzinpumpe.
Bevor ich ihn aufhalten kann, klettert
Karma
jetzt auf den Tisch und setzt sich mit dem Arsch direkt in sein Essen.
»Was machst du da?«, frage ich.
»Ich stelle mir gern vor, ich wäre eine Waage«, erklärt er, nimmt den Lotossitz ein und streckt die Arme aus – Ellbogen nach unten, Handgelenke gebeugt, Handflächen nach oben.
Ich hasse es, wenn er das macht.
»Die Leute starren uns an«, murmele ich.
»Lass sie starren«, sagt er in lautem Befehlston. »Ich bin
Karma.
Ich beurteile die Folgen eurer Entscheidungen. Sehet meine Weisheit.«
»Sieh du dir das hier mal an«, mischt sich ein glatzköpfiger fünfunddreißigjähriger Ur-New-Yorker mit einer Zukunft voll von verpassten Gelegenheiten ein und zeigt
Karma
einen Vogel.
Keine weise Entscheidung.
Karma
presst die Kuppe seines Mittelfingers gegen die Spitze seines Daumens und schnipst in Richtung des Glatzköpfigen. Im nächsten Moment stolpert der Mann über seine eigenen Füße und fällt mit dem Gesicht voran auf einen gedeckten Tisch, an dem einem Ehepaar soeben das bestellte Hühnchen-Curry serviert worden ist.
Instant Karma.
Hinten im Curry in a Hurry zeigt der Manager, ein vierzigjähriger Inder, dessen Zukunft so einige Herzattacken bereithält, mit dem Finger auf uns.
»Kommen Sie sofort runter vom Tisch! Runter, hab ich gesagt! Oder ich rufe die Polizei!«
Karma
bewegt sich nicht.
»Könnten wir eventuell auf meine Frage zu den Pfaden zurückkommen?«, frage ich.
»Am Ende dreht sich alles um Ursache und Wirkung«, doziert
Karma
nun in Richtung der rund zwei Dutzend Gäste im Curry in a Hurry. Fast-Food-Philosophie für eine Fast-Food-Meute.
»Wenn man Gutes tut, wird einem Gutes widerfahren.«
Karma
senkt seine rechte und hebt die linke Hand. »Wenn man Schlechtes tut, blablabla und so weiter und so fort.«
Ich schaue mich um und rechne damit, dass die anderen Leute im Restaurant entweder lachen, die Köpfe schütteln oder
Karma
gänzlich ignorieren. Immerhin sind wir in New York City, wo solche Szenen wie diese durchaus nicht ungewöhnlich sind. Irre gibt es hier überall. Stattdessen stelle ich mit Erstaunen fest, dass die meisten Gäste – der Glatzkopf mit dem Hühnchen-Curry im Gesicht und das Ehepaar mit dem ruinierten Mittagessen ausgenommen – zuhören. Sogar mehr als das. Sie hängen wie gebannt an
Karmas
Lippen.
Ich habe diese Reaktion schon früher beobachtet. Damals in der Antike, nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten und vor dem Siegeszug des Römischen Reiches, hungerte der Großteil der Menschen förmlich nach Erlösern und spirituellen Anführern.
Karma
setzte sich einfach auf einen Berg oder unter einen Baum und fing an zu reden. Die Leute scharten sich um ihn und baten ihn, sie zu befreien – aus der Unterdrückung, von irgendeiner Ungerechtigkeit oder worunter auch immer sie zu leiden hatten. Und wenn er sie schließlich weichgeklopft hatte und er sie genau da hatte, wo er sie hatte haben wollen, ging er spontan in Flammen auf, und sie rannten schreiend davon.
Hinterher lachten wir uns bei Wein und Brot darüber schlapp.
Aber heutzutage scheinen körperliche Entlohnung und materielle Güter der geistigen Erlösung auf der Hitliste der erstrebenswerten Dinge für Menschen den Rang abgelaufen zu haben.
Glykolsäure-Peelings und Brustimplantate.
Prada-Handtaschen und Hugo-Boss-Anzüge.
Luxuswagen und Heimkino.
Und selbst wenn manche nach innerer Anleitung und Orientierung suchen, haben die Menschen von heute die Askese längst gegen die Prominenz eingetauscht. Ihre Erlöser sind Popstars und Schauspieler, ihre geistigen Anführer sind Fernsehprediger und Radiosprecher. Doch dann blicke ich mich in diesem Fast-Food-Restaurant an der East Side von Manhattan um und glaube, dass die Menschen vielleicht doch stärker nach einer Art spirituellem Richtungsweiser suchen, als ich gedacht habe. Möglicherweise brauchen sie doch mehr als einen Gehaltsscheck und eine Schlafzimmereinrichtung von Ethan Allen, um sich selbst zu definieren. Um ihre Erfolge messbar zu machen.
Die andere Möglichkeit ist, dass
Karma
einfach nur weiß, wie man die Massen bewegt.
»Er, der ohne zu verletzen und ehrlich spricht, erzeugt positives Karma«, erläutert er nun mit geschlossenen Augen die buddhistische Philosophie des Karma.
»Geht ganz auf in dem,
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