Schicksal!
ich mir meines Menschenanzugs kaum mehr bewusst bin. All die Menschen, von denen ich dachte, ich hätte ihnen geholfen. All die Leben, von denen ich dachte, ich hätte sie verbessert. Alle tot und beendet.
Auf gewaltsame Art.
Spektakulär.
Ironisch.
Noch ehe ich bemerke, wie mir geschieht, rinnen Tränen meine Wangen hinab.
»Das habe ich nicht gewollt«, sage ich und deute auf die Leinwand, auf der das Foto des ausgeweideten Cliff Brooks einem Bild der Jungfrau Maria mit ihrem neugeborenen Kind gewichen ist.
Das nenne ich mal schlechtes Timing.
»Es ist mir egal, was du gewollt hast«, erwidert Jerry. »Alles, was mich kümmert, sind die Resultate. Mehr als ein halbes Dutzend Menschen sind tot. Gestorben wegen deines Fehlverhaltens. Mehr als drei Dutzend Menschen haben beobachtet, wie du dich vor ihren Augen in Luft aufgelöst hast. Und mehr als zweihundert Millionen Menschen haben dein Bild auf CNN gesehen, bevor wir es verändern konnten. Ist dir klar, dass wir deinetwegen eine weitere Gedächtnissäuberung durchziehen müssen?«
Die Standardprozedur für eine Gedächtnissäuberung sieht vor, zuerst die Wahrheit anzupassen. Den Leuten wird eine modifizierte Version der Geschehnisse präsentiert, damit sie an etwas anderes glauben als daran, was tatsächlich passiert ist. Eigentlich nichts anderes als das, was Regierungen täglich machen. Und es ist erstaunlich, was dabei herauskommen kann, wenn die Öffentlichkeit auf den Nachrichtenkanälen vierundzwanzig Stunden am Tag mit Fehlinformationen bombardiert wird.
Menschen neigen dazu, alles zu glauben, wenn sie es nur oft genug sehen und hören.
Also greift Jerry auf die Hilfe von
Betrug
und
Kreativität
zurück, die die Wahrheit verändern. In diesem Fall kümmern sie sich um das Foto von mir, das zum Schluss so aussehen wird wie jemand Berühmtes. Normalerweise ist derjenige tot. Meist mythisch verklärt. Der derzeitige Standardcharakter für so eine präventive Gedächtnissäuberung ist Elvis, aber wir müssten mal einen neuen aussuchen. Der Mann ist immerhin seit über dreißig Jahren tot. Andererseits: Menschen sind leichtgläubige Kreaturen.
»Sergio, ich habe dich gewarnt, dass es Konsequenzen geben würde, wenn du dich weiterhin einmischst«, sagt Jerry. »Du bist mit sofortiger Wirkung suspendiert und von deinen Kräften entbunden, bis die anstehende Untersuchung durchgeführt wurde.«
»Von all meinen Kräften?«, frage ich.
»Von allen.«
Also keine Teleportationsreisen in Lichtgeschwindigkeit. Keine Möglichkeit, mich unsichtbar zu machen. Keine Fähigkeit, die Schicksale der Menschen zu lesen. Ich könnte genauso gut menschlich sein – mit der Ausnahme natürlich, dass ich nicht sterben kann und in einem fantastischen Menschenanzug stecke. Und das erklärt auch, warum Jerry mich hier statt in seinem Büro treffen wollte. Es ist ziemlich schwierig, zur Erde zurückzukehren, wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist.
»Wer ist mit der Untersuchung beauftragt?«, erkundige ich mich.
»
Integrität
und
Vertrauen
«, antwortet Jerry. »Während die Untersuchung läuft, wird
Zufall
deine Aufgaben übernehmen.«
»Zufall?«,
sage ich. »Machst du Witze? Das kannst du ihm doch nicht überlassen.«
»Sergio, deine Taten haben die kosmische Balance auf diesem Planeten in Gefahr gebracht«, erklärt Jerry, reicht mir den Beutel mit den Feigen und greift in die Innentasche seines Mantels. »Du hast mir keine Wahl gelassen.«
Seine Hand kommt wieder hervor und hält nun einen einzelnen weißen Umschlag, den er mir gibt.
»Was ist da drin?«, frage ich.
»Fünfzig Mäuse und ein Flugticket«, erwidert er und sammelt seine Einkaufstüten mit den Souvenirs zusammen.
Ich öffne den Umschlag und zähle das Geld, nur zur Sicherheit. Jerry hat es nicht so mit den Währungen auf der Erde. Er kann sich die Wechselkurse nie merken. Und er ist berüchtigt dafür, stets zu wenig Trinkgeld zu geben.
»Was ist mit meiner Universal-Visa-Karte?«, frage ich. »Kann ich mein Geschäftskonto weiterhin belasten?«
Jerry schaut mich an. Sein Blick ist ungefähr so missbilligend wie damals, kurz bevor er Sodom und Gomorrha dem Erdboden gleichmachte.
»In Ordnung«, lenkt er schließlich ein. »Du kannst dich wirklich glücklich schätzen. Aber keine unerlaubten Ausgaben. Und an deiner Stelle würde ich Buch über sämtliche Kosten führen, falls du nichts in Rechnung gestellt bekommen willst.«
Ich nicke. Obwohl ich nie gut darin war, meine
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