Schicksal!
und falschen Entscheidungen, aus Fehlschlägen und Katastrophen, aus unerwiderter Liebe und unerfüllten Erwartungen ist fort. Und alles, was mir geblieben ist, ist das gedämpfte Dröhnen der Turbinen, das beständige leise Stimmengewirr im Passagierraum und das andauernde Gequassel von Duncan Mayfield.
»Und dann hab ich diese niedliche kleine Hausfrau in Boston flachgelegt«, fährt er fort. »Hab sie den ganzen Nachmittag geknallt, und als ihr Ehemann von der Arbeit nach Hause kam, hab ich ihm eine Lebensversicherung mit überhöhtem Beitrag verkauft.«
Ich würde Teddy anrufen und ihn fragen, ob er einen Hausbesuch macht, aber ich kann mein Handy während des Fluges nicht benutzen. Ich nehme mal an, ich könnte Duncan selbst töten, doch das würde höchstwahrscheinlich meinen Anschlussflug auf später verschieben. Und außerdem bin ich nicht sonderlich scharf darauf, mir meinen Menschenanzug mit Blut zu versauen.
Stellt euch vor, ihr hättet gerade festgestellt, dass eure wohlgemeinten Absichten versehentlich den Tod von mehr als einem halben Dutzend Menschen verursacht hätten – dann könnt ihr einfach nicht klar denken. Bedenkt außerdem noch, dass euch die Fähigkeit genommen wurde, in null Komma nichts überall auf dem Planeten erscheinen zu können. Und nun sitzt ihr am Fensterplatz in der Notausgangsreihe neben einem Menschen, dessen Schicksal ihr nicht lesen könnt und bei dem ihr euch wünscht, ihr hättet euer Gehör bei einem Unfall mit einer Handgranate verloren. Wenn ihr euch all das vor Augen führt, könnt ihr vielleicht verstehen, wieso ich ernsthaft in Erwägung ziehe, vor dem nächsten planmäßigen Halt auszusteigen.
Ich nehme an, ich könnte meine Dateien auf der Suche nach Duncan Mayfield durchgehen und seine Geschichte finden. Wenn ich herausbekommen könnte, wie viel von dem, was er mir erzählt, erfunden ist, könnte ich ihn konfrontieren und so möglicherweise zum Schweigen bringen. Aber ich habe jetzt nicht die Geduld, mich durch mehr als fünfeinhalb Milliarden Fälle zu wühlen – besonders deshalb, weil ich es noch nicht geschafft habe, sie alle alphabetisch zu ordnen. Also muss ich bei meiner Vermutung bleiben, dass er das meiste seiner Lebensgeschichte erfindet.
So nämlich sind die Menschen. Im Durchschnitt ist weniger als vierzig Prozent von dem, was dir jemand erzählt, tatsächlich so passiert. Der Rest ist einfach aufgefüllt. Ausgedacht. Um Unzulänglichkeiten zu überdecken und den Redner besser dastehen zu lassen.
Eine frei erfundene Erzählung.
Ein Hollywood-Streifen.
Ein ganzes Leben, das nur noch auf einer wahren Geschichte basiert.
Es ist verwirrend, nicht mehr zu wissen, welche Teile erlogen sind. Nicht in der Lage zu sein, die Schicksale der anderen zweihundertzweiundvierzig Passagiere an Bord dieser Boeing 757 zu lesen, ebenfalls. Ich fühle mich unnütz und unvollständig, so als hätte einer meiner Sinne aufgehört zu funktionieren. Was im Grunde genommen ja auch stimmt.
Die Frau, die auf der anderen Seite vom Gang sitzt, wirft Duncan einen Blick zu, und alles, was ich erkenne, ist, dass sie genervt ist.
Der Kapitän spricht über die Bordsprechanlage, und alles, was ich höre, ist seine Stimme.
Die Stewardess geht vorbei, und alles, was ich erhaschen kann, ist ein bisschen weißes Leinen.
Ich bin eingeschränkt. Verloren. Kämpfe um meine Identität. Stelle meinen Zweck in Frage. Wenn ich niemanden lesen kann, woher soll ich wissen, was diese Menschen bedrückt? Und wenn ich nicht weiß, was sie bedrückt, wie kann ich ihnen dann helfen?
Natürlich haben die meisten Menschen, denen ich in letzter Zeit geholfen habe, ein vorzeitiges und grausames Ende gefunden. Also ist es vielleicht gut, dass ich niemandem helfen kann. Denn das Letzte, was ich will, ist, noch mehr Menschen zu töten.
»Und dann war da diese Stewardess, die ich so oft durchgenommen hab, dass ich meinen gesamten Vielfliegerbonus aufgebraucht habe.«
Mit Ausnahme von Duncan Mayfield.
Als ich schließlich in Duluth lande, verlasse ich auf schnellstem Wege den Flieger, suche mir das erstbeste freie Taxi, das Kreditkarten akzeptiert, und gebe dem Fahrer die Adresse von Darren Stafford. Auf der Fahrt dorthin studiere ich meinen Auftritt ein und versuche, einen subtilen Plan auszuarbeiten, wie ich Darren vor seinem drohenden Tod warnen kann, ohne ihn zu beunruhigen oder ihn zu motivieren, die Polizei zu verständigen. Als das Taxi vor Darrens Apartmenthaus vorfährt, sieht es
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