Schicksalsfäden
nicht glauben!«, rief der Mann mit rauer Stimme. »ich dachte, du wärst tot. Wo warst du denn, in drei Teufels Namen? Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich durchgemacht habe, seit du so spurlos verschwunden bist? Ich konnte d – ich nirgendwo finden, verdammt ich habe ganz London auf den Kopf stellen lassen. War dir das denn völlig gleichgültig, dass ich mir solche Sorgen machen würde?« Vivien roch seinen alkoholgeschwängerten Atem und musste ein Würgen unterdrücken. »Aber ich hätte mir wohl überhaupt keine Sorgen machen müssen, wie? Eine Vivien Duvall geht nicht so leicht verloren!« Er beendete seine Predigt und warf einen abschätzigen Blick auf Grant. Dann wandte er sich wieder Vivien zu. »Wie eine Katze landest du immer auf deinen Füßen, stimmt’s?«
Vivien war wie erstarrt. Sie konnte noch nicht einmal ihre Hände aus seinen lösen. Alles, was sie spürte, waren wie Dolchstiche die Blicke von Hunderten von Augen, die auf die Szene, in deren Mittelpunkt sie stand, gerichtet waren.
»Guten Abend, Gerard«, sagte Grant leise.
Lord Gerard, natürlich, dachte Vivien. Das war also ihr letzter Beschützer gewesen. Vivien zwang sich zu einem Lächeln, aber ihre Lippen bebten vor Wut, Scham und Entsetzen über die Situation. All diese versnobten Nichtsnutze machten sich lustig über sie, zerrissen sich das – Maul in geheuchelter Empörung.
Gerard bemerkte scheinbar nicht dass er mit Vivien den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bildete. Er nahm ihre Hände noch fester, beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Bitte versprich mir, dass wir uns nachher noch mal unter vier Augen treffen. Ich muss mit dir reden.«
»Versprochen«, murmelte Vivien und befreite fast gewaltsam ihre Hände.
Gerard ließ sich wieder in der Menge weitertreiben. Einen Augenblick verharrte Vivien und lief dann in die entgegengesetzte Richtung davon. Grant der die Szene ebenso unerfreulich fand wie Vivien, folgte ihr nach kurzem Zögern. Vivien verließ die große Halle und lief durch den kleineren Salon, bis sie eine Galerie erreichte, in der Portraits von Lichfield-Vorfahren in Reih und Glied hingen. Vor einem blieb sie stehen, starrte die Wand an und verschränkte trotzig die Arme. Als sie mit zusammengebissenen Zähnen zu sprechen begann, wusste sie, dass Grant hinter ihr stand, obwohl sie sich nicht umgedreht hatte. Ihre Stimme war leise und ruhig, um dem anderen Paar, das sich in der Galerie umsah, keinen Grund zu geben, sich umzudrehen. Aber ihr ganzer schöner Körper drückte Protest aus. Sie schien kurz davor zu explodieren.
»Gratuliere, Morgan. Das haben Sie ja wunderbar hingekriegt. Innerhalb von nur zehn Minuten treffe ich gleich drei meiner verflossenen Liebhaber. Haben Sie wirklich jedem Kerl in dem Tagebuch eine Einladung zu dem Ball verschafft?«
»Sagen wir mal so: Man konnte Lady Lichfield dazu überreden, ihre Gästeliste noch zu erweitern.«
»Wie nett von ihr«, sagte Vivien mit vor Hohn triefender Stimme.
»Verdammt, Vivien, was dachten Sie denn, was wir hier machen würden? Sie wussten, dass das hier kein Maskenball ist, dass wir hier bekannt machen wollten, dass Sie noch leben.«
»Aber dabei ist es nicht geblieben, Grant. Sie haben jeden hierher gebracht der mir die Pest an den Leib wünscht.
Sie benützen mich hier als lebenden Köder und warten nur darauf, dass jemand nach mir schnappt. Und das ist kein angenehmes Gefühl.«
»Dann sollten Sie wissen, dass heute Abend ein halbes Dutzend Bow-Street-Runner ständig ein Auge auf Sie haben. Von Sir Ross gar nicht zu sprechen, und ich bin schließlich auch noch da. Es besteht also keine Gefahr für Sie, Vivien.«
Aber seine Worte beruhigten Vivien nicht sondern wirkten wie der Versuch ein Feuer mit Whiskey zu löschen. Sie fuhr so heftig herum, dass er einen Schritt zurückmachte. Ihre Augen schleuderten ihm Blitze entgegen und wie ein gereiztes Raubtier fletschte sie die Zähne: »Und warum haben Sie mir nichts von Ihren großartigen Plänen erzählt? Ich kann Ihnen sagen, warum nicht: Weil Sie mich unvorbereitet treffen wollten, weil Sie mich erniedrigen wollten! Deshalb!«
»Ach so! Sie denken, das habe ich mir als besonders kunstvolle Strafe für Sie ausgedacht«, schnaubte er. »Nette Idee, Vivien, aber wir Bow-Street-Leute haben Besseres zu tun, als persönlichen Rachegelüsten nachzugehen.
Meine Aufgabe ist es, denjenigen zu verhaften, der versucht hat Sie zu töten. Ich denke, dieser Ball bietet die beste Möglichkeit dazu. Das
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