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Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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werden. Wie ein Tier im Zoo komme ich mir vor.«
    Ihre Beobachtung war richtig. Die anderen Gäste machten keinen Hehl aus ihrer Neugier und glotzten Vivien unverwandt an. Die Damen waren schockiert, dass diese Person, diese Hure nicht nur lebte, sondern es sogar wagte, auf dem Lichfield-Ball zu erscheinen, und die viele Herren waren entsetzt, weil sie einst kostspielige, vergnügliche Stunden mit Miss Duvall verbracht und gehofft hatten, diese Sünden würden durch ihren Tod nie ans Licht kommen. Mit Vivien Duvall hier in Anwesenheit ihrer Ladies konfrontiert zu werden, konnte zu einer Szene oder gar zu einem Skandal führen.
    Grant strich beruhigend über Viviens Finger, die auf seinem Arm lagen. »Natürlich sehen sie Sie an«, flüsterte er ihr zu. »Alle hier dachten, Sie seien tot. Was glauben Sie, wie überrascht man ist Sie hier zu sehen.«
    »Gut jetzt haben sie mich gesehen, dann können wir ja wieder gehen.«
    »Noch nicht«, sagte Grant und unterdrückte ein Seufzen, denn auch er hatte große Lust dieser Gesellschaft einfach den Rücken zu kehren und mit Vivien allein zu sein. Dies würde ein langer, schrecklicher Abend werden, dachte er. »Versuchen Sie sich wenigstens jetzt in die alte Vivien hineinzuversetzen und Rückgrat zu zeigen. Die alte Vivien hätte diese Aufmerksamkeit genossen, sie hätte mit den Erwartungen der Leute hier gespielt.«
    »Wenn ich kein Rückgrat hätte, wäre ich gar nicht hier, Morgan.«
    Schließlich waren sie mit der Begrüßung durch die Gastgeberin an der Reihe. Lady Lichfield hatte einst als eine der begehrenswertesten Frauen Londons gegolten, und auch jetzt wo sie älter war, wirkte sie mit ihren blauen Augen, ihrer geraden Nase und dem schwarzen Haar wie eine klassische Schönheit. Unbestritten die Königin der feinen Londoner Gesellschaft, eine Witwe, die ein ausschweifendes, exklusives Leben führte. Es gingen sogar Gerüchte um, die besagten, sie würde sich junge Männer als gutbezahlte Liebesdiener leisten. Auch mit Grant hatte sie auf einer Soiree noch im Frühjahr heftig geflirtet. Zu gern hätte sie damals, wie sie sagte, »ihre knospende Freundschaft vertieft«.
    Als Lady Lichfield Grant jetzt erblickte, kam sie ihm ein paar Schritte mit ausgestreckten Armen entgegen: »Mr. Morgan, es ist so schön, Sie zu sehen. Kaum zu glauben, dass es erst das zweite Mal ist dass wir uns begegnen.
    Sie kommen mir schon wie ein alter Freund vor!«
    »Ein ›lieber Freund‹, Mylady«, sagte Grant herzlich und hauchte dann einen Anstandskuss auf Lady Lichfields behandschuhte Hand. »Niemals sollten Sie das Wort ›alt‹ in einem Atemzug mit Ihnen verwenden.«
    Lady Lichfield kicherte und plusterte sich auf. »Sie sind ein charmanter Wüstling, Morgen. Wie viele Frauen sind Ihren Schmeicheleien schon auf den Leim gegangen? Ich soll doch wohl nicht Ihr nächstes Opfer werden, oder?«
    Grant grinste anzüglich und hielt die Hand von Lady Lichfield eine Spur länger, als der Anstand es vorschrieb.
    »Oder ich werde Opfer des Zaubers der blauesten Augen von ganz England, Mylady.«
    Auch diese Schmeichelei ging Lady Lichfield offensichtlich runter wie Honig, allerdings lag in ihrer Stimme ein Hauch Ironie, als sie antwortete: »Gen ug, Mr. Morgan, ich flehe Sie an. Sonst schmelze ich vor Ihren Augen dahin.«
    Sie wandte sich an Vivien und musterte sie eingehend vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Dann schenkte sie ihrem Gast ein unterkühltes Lächeln. »Herzlich willkommen in meinem Haus, Miss Duvall. Ich freue mich zu sehen, dass Sie sich entgegen anders lautender Gerüchte offenbar bester Gesundheit erfreuen.«
    »Vielen Dank, Lady Lichfield«, sagte Vivien höflich und zurückhaltend. »Bitte verzeihen Sie die Frage, aber sind wir uns schon einmal begegnet?«
    Bei dieser Frage erstarrte Lady Lichfields unterkühlte Höflichkeit zu Eis. »Nein«, schnarrte sie, »wir sind uns noch nicht begegnet aber ich glaube, Sie waren recht vertraut mit meinem seligen Mann.«
    Es gab keinen Zweifel darüber, wie sie das gemeint hatte, und Vivien war sprachlos. Wieder und auf ganz andere, sehr persönliche Art wurde sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Als sie in diesem Moment von Grant am Arm genommen und weggeführt wurde, war sie sehr dankbar.
    »Sie mag mich nicht«, sagte Vivien niedergeschlagen, während Grant ihr den Mantel abnahm und einem Diener aushändigte.
    »Nicht viele Frauen mögen Sie.«
    »Ich danke Ihnen wirklich sehr für Ihre moralische Unterstützung, Mr. Morgan.

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