Schicksalsfäden
grüßend unter die Menge.
»Damit könnten Sie Recht haben, Sir«, sagte Grant zu sich selbst.
Immer noch erfüllt von Wut und Eifersucht ging er immer wieder um die Gruppe mit Vivien herum. Tja, sagte er sich, so fühlte sich wohl jeder Mann, dem Vivien am Herzen lag. Er sah Vivien mit all den Verflossenen flirten und musste ständig daran denken, was sie mit dem einen oder anderen im Bett gemacht und danach in ihrem Tagebuch aufgeschrieben hatte. Er glaubte, ihm würde schlecht werden, wenn er das weiter mit ansehen musste. Er wollte jemandem wehtun, wollte irgendwen in die Mangel nehmen und ihn zusammenschlagen, um seine Wut loszuwerden. Nie hätte er geahnt dass er wegen einer Frau die Kontrolle über sich verlieren könnte.
Auf dem Lichfield-Ball lernte Vivien, dass es tatsächlich möglich war, den Eindruck zu erwecken, als würde man sich köstlich amüsieren, obwohl man innerlich Qualen durchsteht. Schlimmer noch war, die sexuellen Avancen all der Männer um sie herum nicht nur zu ertragen, sondern sogar zu erwidern, wo sie doch nichts lieber gewesen wäre als allein in ihrem Zimmer.
Dabei sah sie die ganze Zeit im Augenwinkel Grant einen ruhelosen Hünen, der um sie herum schlich und dabei aussah, als hätte er ein Wespennest verschluckt. Er war schuld an allem, dachte sie, und wusste es doch besser.
Denn sie hatte ja einst das Leben geführt das sie jetzt in diese Situation gebracht hatte. Dass sie jetzt Schutz brauchte, hatte sie sich selbst zuzuschreiben. Aber sie wusste einfach nicht wie er zu ihr stand, und er machte es ihr auch nicht gerade leicht. Einmal war er zärtlich und fürsorglich und schon im nächsten Moment war er wieder sarkastisch und arrogant. Wenn sie wüsste, dass er sie wirklich verachtete, wäre das nur schwer zu ertragen, aber immerhin wüsste sie, woran sie wäre. Immer noch besser als diese Ungewissheit.
Da fing sie einen Blick von Lord Gerard auf. Er stand neben der hohen Glastür, die in den Garten hinausführte, und machte ihr Zeichen, ihm zu folgen.
Vivien verstand, was er wollte. Es war ihr durchaus bewusst dass es gefährlich sein konnte, mit Gerard im Dunkeln hinter Büschen zu verschwinden. Er war ihr letzter Beschützer gewesen und könnte deshalb durchaus auch derjenige gewesen sein, der sie in die Themse geworfen hatte. Was auch immer vorgefallen sein mochte, schließlich war Gerard bekannt für seine rasende Eifersucht. Die Gefahr war Vivien durchaus bewusst aber Grant hatte ihr versichert, dass sie beobachtet und geschützt wurde, und darauf musste sie sich nun vertrauen.
Sie musste nur irgendwie aus dieser Männertraube um sie herum herauskommen und deshalb sah sie sich suchend nach Grant um. Dabei fiel ihr Blick auf einen schlanken, nicht mehr ganz jungen grauhaarigen Mann, der sie aus einiger Entfernung genau zu beobachten schien. Er war nicht gerade gutaussehend, aber er hatte etwas Besonderes, das man nicht auf Anhieb hätte beschreiben können. Aber für Vivien unübersehbar war der blanke Hass in seinen Augen.
Sie riss ihren Blick los und suchte weiter nach Grant. Als sie ihn gefunden hatte, verstand dieser offenbar sofort was los war, kam schnell hinüber und bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Verehrer um Vivien. Ohne auf deren Proteste zu achten, zog er sie mit sich fort.
»Was ist?«, fragte er angespannt und beugte sich zu ihr herunter.
»Tanzen Sie mit mir!«
Er runzelte die Stirn. »Ich bin kein besonders guter Tänzer.«
»Lord Gerard hat mir angedeutet dass er sich gern mit mir im Garten treffen würde. Ich hatte gehofft, Sie könnten unauffällig mit mir bis zu Tür tanzen und mir dann Deckung geben.«
Grant zögerte. Die Aussicht Vivien mit Gerard allein zu lassen, schien ihm gar nicht zu behagen. Andererseits konnte dieses Treffen wichtige Hinweise auf den Täter liefern. Dass Vivien von sich aus bereit war, ihren Ex-Geliebten und, wer weiß, Attentäter allein zu treffen, sprach für ihren Mut und ihre Entschlossenheit wenn es darauf ankam. Trotzdem war er dagegen, dass sie Gerard im Garten traf. Ihre Sicherheit war nur ein Grund dafür. Der andere war seine Eifersucht. Er wollte mit Vivien allein sein.
»Was macht Ihr Fuß? Haben Sie noch Schmerzen?«, fragte er.
»Es wird schon gehen«, sagte sie ohne zu zögern. »Nur ab und an ein kurzes Stechen.«
»Gut. Wenn Sie jetzt rausgehen, bleiben Sie immer in Sichtweite des Hauses, verstanden? Und lassen Sie sich nicht in den unteren Teil des Gartens
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