Schicksalsfäden
hier, meine Liebe«, sagte Mrs. Buttons, die in der Tür zur Bibliothek stand. Vivien blickte auf. »Sein Name ist Keyes«, fuhr Mrs. Buttons fort »und er scheint ein sehr netter, aufmerksamer Gentleman zu sein. Sir Cannon hat versichert dass er der beste Mann für diese Aufgabe sei, und ich weiß, dass auch Mr. Morgan viel von ihm hält. Ich glaube, mit ihm können wir uns ganz sicher sein.«
»Bitte danken Sie Mr. Keyes in meinem Namen«, antwortete Vivien matt. Ihr Blick wanderte wieder zum Fenster, sie sah ins Londoner Grau hinaus. Ein Sturm zog auf, dunkle Wolken jagten über den Himmel. Immer wieder peitschten Böen die Bäume und Hecken im Garten. Schon platzten einzelne schwere Tropfen an den Fensterscheiben.
»Sie können ihm selbst danken, denn er steht draußen in der Eingangshalle und wartet darauf, mit Ihnen sprechen zu können. Es schien ihm sehr wichtig zu sein.«
»Natürlich natürlich.« Vivien richtete sich etwas verwirrt auf. »Dann bitten Sie ihn doch herein, Mrs. Buttons.«
»Ja, Miss.«
Nachdem die Haushälterin verschwunden war, seufzte Vivien tief und drückte den Gedichtband, in dem sie gelesen hatte, schützend an ihre Brust. Sie wollte sich nicht mit irgendeinem Mr. Keyes unterhalten, sie wollte nur, dass Grant nach Hause kam. Das Gefühl, nicht genau zu wissen, wo er sich gerade aufhielt und ihn nicht erreichen zu können, beunruhigte sie. Sie hatte sich schon so an seine Nähe gewöhnt dass sie es nicht ertragen konnte, von ihm getrennt zu sein. Nicht einmal einen Tag.
Dabei wusste sie ganz genau, dass sie sich nicht zu sehr an ihn binden sollte, schließlich würde ihre Beziehung nur allzu bald enden. Der Verstand musste das Gefühl besiegen, sonst würde sie die bevorstehende Trennung nicht ertragen und ihre Selbstachtung verlieren.
Schwer ausatmend nahm sie sich vor, sich zusammenzureißen. Sie legte das Buch beiseite und blickte in dem Moment auf, als die Tür zur Bibliothek geöffnet wurde und Mrs. Buttons mit dem Runner eintrat. Der Mann hatte eine durchschnittliche Körpergröße und trug einen teuer wirkenden, lachsfarbenen Mantel. In der Hand hielt er einen grauen Hut mit weiter Krempe, sein Haar war silbrig und lang und gab seinem Ausdruck etwas durchaus sympathisch Verwegenes. Alles in allem war er eine angenehme Erscheinung, sogar ausgesprochen gut aussehend.
Vivien war erstaunt schließlich entsprach das Dandyhafte von Mr. Keyes überhaupt nicht der Vorstellung, die sie bisher von Bow-Street-Runner gewonnen hatte.
Mit einem Lächeln kam er auf Vivien zu, während Mrs. Buttons lautlos den Raum verlassen wollte.
»So bleiben Sie doch bitte«, rief er ihr nach. »Was ich Miss Duvall zu sagen habe, dürfen auch Sie hören, Mrs. Buttons.«
»Wenn Sie wünschen, Sir«, sagte die Angesprochene gehorsam und faltete die Hände vor dem einfachen Kleid.
»Zunächst einmal möchte ich Ihnen versichern, Miss Duvall, dass es mir eine große Ehre ist, Ihnen zu Diensten sein zu dürfen.« Seine Stimme war angenehm, warm und melodisch, und seine Ausdrucksweise auf fast romantische Art altmodisch. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Sie mit meinem Leben zu verteidigen.«
»Vielen Dank«, sagte Vivien. Sie bemerkte, dass der Regen vor dem Fenster stärker wurde. »Unsere liebe Mrs. Buttons hier sagte mir schon, dass mein … dass Mr. Morgan sehr viel von Ihnen, hält, Mr. Keyes.« Sie errötete und ein Schauer jagte ihr den Rücken hinab. Was um Himmels willen hatte sie da sagen wollen? Mein Mann? Mein Beschützer? Was auch immer, Grant gehörte ihr nicht. Wie hatte sie das so schnell vergessen können?
Mr. Keyes war nicht anzumerken, ob ihm ihre plötzliche Verunsicherung aufgefallen war. Er lächelte weiter sein gewinnendes Abenteurerlächeln. »Nun, ich hoffe, ich werde die Erwartungen meines sehr geschätzten Kollegen nicht enttäuschen, Miss.«
»Gewiss nicht, Mr. Keyes.« Vivien hatte sich wieder gefangen.
»Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie auch respektvoll darauf hinweisen, dass Sir Ross den ursprünglichen Plan etwas abgeändert hat. Nein, bitte machen Sie sich keine unnötigen Sorgen, Miss Duvall. Es besteht keine unmittelbare Gefahr. Trotzdem hält er es für sicherer, wenn ich Sie sofort aus Bow-Street-Revier bringe.«
Vivien hatte erschrocken die Hand an die Kehle gelegt. Ach würde aber lieber hier bleiben«, sagte sie mit rauer Stimme.
Keyes schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich verstehe das sehr gut Miss, glauben Sie mir.
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