Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
eigentliche Markt, ein riesiger, überdachter Platz, hatte sich im Lauf der Zeit immer weiter ausgedehnt und streckte seine Arme nun auch in die umliegenden Straßen aus. Und mit ihm der Lärm und der Schmutz und die Gerüche. Längst hatten die Adeligen diese ordinäre Gegend verlassen und sich in ruhigere Stadtteile verzogen. In ihren einstigen prächtigen Stadtvillen wurden nun Waren aller Art feilgeboten, auf ihren hochherrschaftlichen Eingangstreppen lungerten finstere Gestalten herum.
    Victoria verschwand in der Menschenmenge, die sich unter den Arkaden. an den Läden und Pubs vorbeischob. An den Arkadensäulen saßen alte Frauen und verkauften aus Körben Obst Gemüse und Blumen Ungeniert griffen die Menschen mit schmutzigen Händen nach den Waren, gegrapschten sie, drückten sie, legten sie wieder zurück in die Körbe )der begannen zu feilschen. Gleich daneben hingen Aale von den Arkadendecken. Die Fischhändler wickelten die schönsten Exemplare in Papier, während ihre Gehilfen am selben Tisch Fische ausnahmen und blutige Körbe mit Gekröse füllten. Ein Vogelhändler pries lautstark einen noch lauteren Papagei an, der ihm auf der Schulter saß.
    Victoria kam an der Tür eines Kräuter- und Wurzelhändlers vorbei, der seine Waren in großen Gläsern auf Holzregalen aufbewahrte. Einige Schritte weiter warf sie einen Blick in die Auslage einer Parfümerie, die feinste Duftöle und Cremes für die anspruchsvolle Dame zum Verkauf bot.
    »Hierher, Schätzchen, hierher«, hörte sie plötzlich hinter sich eine Stimme krächzen und eine krallenartige Hand legte sich auf ihren Arm. Victoria drehte sich um und sah eine mit Glöckchen, bunten Bändern und Schals farbenprächtig herausgeputzte, alte Frau, kaum größer als ein Kind, die sich hartnäckig an Victorias Arm festhielt.
    »Ich sag dir die Zukunft voraus Schätzchen! Für ’nen Shilling zeig ich dir, was das Leben dir bringen wird! Wie wär’s, Schätzchen, kost’ dich nur ’n Shilling. Ich seh schon, deine Zukunft wird ganz wunderbar, Schätzchen. Willst du nich’ mehr wissen?«
    »Tut mir leid, aber ich hab kein Geld«, sagte Victoria in der Hoffnung, damit die Frau loszuwerden, Mit einem Ruck befreite sie ihren Arm aus deren Umklammerung und wollte weitergehen.
    Doch so leicht ließ sich die Wahrsagerin nicht abschütteln. Mit kleinen, trippelnden Schritten war sie Augenblicke später schon wieder neben Victoria und griff erneut nach ihrem Arm. »Für dich mach ich’s umsonst, Schätzchen«, kreischte sie und klang dabei fast so wie vorhin der Papagei. »Hört her, Leute! Wollt ihr wissen, was die Zukunft dieser edlen jungen Dame bringt?«, schrie sie in die Menge.
    Erschrocken stellte Victoria fest, dass sie für die Alte wohl so etwas wie ein Vorführobjekt sein sollte. »Nein!«, rief sie mit allem Nachdruck und riss sich, so kräftig los, dass sie die Fingerknöchel der Wahrsagerin krachen hörte.
    »Lassen Sie mich doch in Ruhe!«
    Mit Besorgnis bemerkte Victoria, dass das kurze Handgemenge die Aufmerksamkeit der Umstehenden erregt hatte.
    Sie sah sich um und glaubte plötzlich im Gewühl einen grauen Hut zu sehen. Einen Hut, wie Keyes ihn getragen hatte, als er vorhin ins Haus gekommen war. Tief fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Konnte er ihr so schnell gefolgt sein? Unmöglich – es sei denn, Mary hätte den Mund doch nicht halten können Wo war er jetzt? Sie suchte abermals nach dem Hut sah ihn jedoch nicht mehr Vielleicht hatte sie sich das alles nur eingebildet sagte sie sich, als sie nach Osten in Richtung der Alten Oper weiterlief. Sie schaute sich kurz um, aber weder die Wahrsagerin noch ein Mann mit grauem Hut folgten ihr.
    Die mächtigen Säulen an der Fassade der Oper ließen die darunter herumwuselnden Menschen wie Ameisen erscheinen. Offenbar war dort eine Art Demonstration im Gang. Männer und Frauen der verschiedensten, Stände, Gentlemen und Bettler, standen vor den verschlossenen Toren und protestierten gegen überhöhte Eintrittspreise.
    »Wir wollen die alten Preise!«, schrie eine gauhaarige kleine Dame.
    »Genau! Das ist zu viel, viel zu viel!«, rief ein junger Mann mit Tweedmantel und schüttelte die Faust.
    Fast unter Einsatz von Gewalt tauchte Victoria in die brodelnde Menge ein, bahnte sich einen Weg durch die Schreihälse, bis sie eine der Säulen erreichte und sich schwer atmend gegen den kühlen Marmor lehnte. Sie spürte den Herzschlag an ihrem Hals, ihr schwindelte.
    Keyes war ihr auf den Fersen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher