Schicksalsfäden
hatte Mrs. Buttons um ein Glas Wein gebeten, während er auf Vivien wartete. Nun saß er in einem Sessel in der Eingangshalle und betrachtete eingehend den teuren Silberpokal, den er zwischen Zeigefinger und Daumen hielt. »Dieser Morgan lebt nicht schlecht«, sagte er so, als würde er nur laut denken. »Kenne keinen Kollegen, der es sich so gut gehen lässt wie er. Irgendwie muss der ein echtes Händchen für Geld haben.«
»Mr. Morgan arbeitet aber auch sehr hart dafür«, glaubte Mrs. Buttons sagen zu müssen. Schließlich war es in ihren Augen nur gerecht, dass der mutige, schlaue, hoch angesehene Morgan hin und wieder Geschenke für seine besonderen Verdienste empfing.
»Nicht härter als wir alle … nicht härter als ich«, sagte Keyes mit einem Lächeln um die Mundwinkel, aber seine Augen lächelten nicht. »Aber er lebt in Saus und Braus, ich hingegen …«Seine Stimme verlor sich und er bekam einen träumerischen Gesichtsausdruck.
»Wie auch immer«, sagte Mrs. Buttons, der das Gespräch immer unangenehmer wurde. »Ich möchte Ihnen jedenfalls im Namen aller Bediensteten von Mr. Morgan dafür danken, dass Sie Miss Duvall beschützen. Wir sind sicher, dass sie in Ihrer Obhut so sicher ist wie unter der von Mr. Morgan.«
»Ja, ja«, sagte Keyes irgendwie abwesend, »ich werde mich schon um das Goldstück kümmern.«
Hatte sie richtig gehört? Was war das bloß für ein seltsamer Kerl. Mrs. Buttons legte den Kopf schräg und sah Keyes misstrauisch an. »Sir?«
Doch bevor er etwas erwidern konnte, stürzte ein kleines dunkelhaariges Hausmädchen herein. Ihr Gesicht war von Tränen verschmiert und sie schien überhaupt sehr aufgeregt. »Mrs. Buttons, Ma’am!«, rief sie schrill. »Sie hat mir gesagt, ich soll es niemandem sagen, aber ich habe solche Angst um sie, und ich wusste doch nicht, was ich tun sollte. Ich will doch nur nicht, dass ihr ein Leid geschieht!«
»Mary, was ist denn los?«, sagte Mrs. Buttons und kam auf das Mädchen zu.
Keyes war mit einem Mal wieder hellwach. Auch er sprang auf. »Von wem redet sie? Geht es etwa um Miss Duvall?«
Die Augen ängstlich geweitet brachte Mary ein zaghaftes Nicken zustande. »ja, Sir. Sie ist weg, Sir.«
»Weg?«, fragte Mrs. Buttons verwirrt.
»Verdammt was meinst du damit? Raus mit der Sprache!« Überrascht sah Mrs. Buttons Keyes an. Was für eine ordinäre Sprache, dachte sie. Was erlaubte sich der Mann im Haus von Mr. Morgan?
Die arme Mary war nun völlig aufgelöst. Sie hatte sich Hilfe erhofft und wurde nun plötzlich sogar beschimpft.
»Aber ich wollte doch nur alles richtig machen … Vor kaum fünf Minuten hab ich sie auf der Hintertreppe getroffen, und es ging ihr nicht gut das hab ich gesehen … und sie hat mir gesagt ich solle nichts sagen, aber ich hatte doch so Angst dass ihr was zustoßen könnte … war das denn falsch, Mrs. Buttons?«
»Nein, Mary«, sagte diese beruhigend und legte dem Mädchen einen Arm um die Schultern. »Und du hast sicher ganz im Sinne von Mr. Morgan …« Weiter kam sie nicht denn Keyes explodierte:
»Diese verdammte Schlampe!«, schrie er und schleuderte den Pokal gegen die Wand. Weinspritzer verteilten sich über Tapete und Teppich. Sie sahen aus wie Blutflecken. »Aber so leicht entkommt sie mir nicht!« Mit großen Schritten ging er zur Garderobe, schnappte sich seinen Mantel und Hut und stürzte aus dem Haus.
Krachend fiel hinter ihm die Tür ins Schloss.
Eine unwirkliche Stille legte sich über das Haus und die beiden Frauen, die immer noch wie erstarrt an der Treppe standen. »Was für ein merkwürdiger Mann«, murmelte Mrs. Buttons schließlich. »Ganz offensichtlich mag er Miss Duvall nicht.«
»Aber er wird sie doch finden, nicht wahr, Mrs. Buttons?«, flüsterte Mary hoffnungsvoll. »Und dann wird sie in Sicherheit sein.«
Covent Garden hatte sich in den letzten hundert Jahren sehr verändert. Früher war es vor allem ein Stadtteil für die Aristokratie. Hier standen die Stadthäuser der Adeligen, großzügige Villen und Paläste, um kleine, hübsche Plätze.
Sonntags ging man in die von Inigo Jones gebaute Kirche. Alles in allem eine reiche, wenn auch sehr ruhige Gegend. Inzwischen war Covent Garden zu einem Zentrum des Londoner Nachtlebens geworden. Es wimmelte von Theatern und Varietes an allen Ecken verdienten sich Straßenmusiker und andere Künstler ihr Geld. In Kaffee- und Teehäusern trafen sich Schriftsteller, Philosophen und solche, die es gerne wären. Der
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