Schicksalspfade
dreißig Jahre alter Mann mit dunklem Haar und einem fröhlichen Lächeln, trat zu ihnen und betrachtete das Zeichen. »Wir nähern uns dem Ziel, Kolopak.
Ihr Sohn ist ein guter Scout.«
Dieses Lob erfüllte Kolopak mit Stolz, während es Chakotay Verlegenheit bereitete. »Ich habe nur die Eidechse beobachtet und das Symbol durch Zufall entdeckt«, sagte er, doch Kolopak wirkte auch weiterhin sehr stolz.
»Deine Augen haben es gesehen, nicht die der anderen –
darauf kommt es an.«
Chakotay seufzte innerlich und hörte kaum zu, als sein Vater mit einem längeren Vortrag über das Symbol begann – es segnete das Land und stellte gewissermaßen eine
Entschuldigung für das Fällen des Baums dar. Warum erzählte man ihm so etwas immer wieder? Er interessierte sich
überhaupt nicht für die alten Traditionen. Missmutig kehrte er auf den Weg zurück und fragte sich, wie lange es noch bis zum Mittagessen dauerte. Die Enttäuschung im Gesicht seines Vaters entging ihm.
Auf die große Schlange stießen sie kurz nach dem Mittagessen.
Für Chakotay war es ein sehr beunruhigendes Erlebnis, das einen kalten Knoten in seiner Magengrube hinterließ.
Antonio fand sie: eine Boa constrictor, ihr Leib
angeschwollen – offenbar hatte sie erst vor kurzer Zeit ein Opfer verschlungen. Die Verdauung machte das Tier träge.
Antonio vermutete, dass die Schlange ein kleines Wildschwein oder einen Pekari gefressen hatte. Chakotay verzog voller Abscheu das Gesicht und stellte sich das Geschehen vor: Die Boa schlang sich um das Schwein und übte immer mehr Druck aus, presste ihm die Luft aus den Lungen und sorgte dafür, dass ihr Opfer nicht mehr atmen konnte. Schließlich gaben die Rippen des Schweins nach und es starb.
Dann öffnete die Schlange ihr Maul weit genug, um das Schwein in einem Stück zu verschlingen. Sie schob ihr Kiefer um das Opfer herum und kräftige Muskeln drückten es in den Magen. Die Verdauung bewirkte Trägheit. Die Boa blieb auf dem Boden liegen, bis das Schwein ganz verdaut war, was Wochen dauern konnte. Anschließend machte sie sich wieder auf den Weg, kroch lautlos und überraschend schnell durchs Dickicht und suchte nach einem weiteren Opfer.
Chakotay verabscheute Schlangen. Als Kind war er in seinen Albträumen von riesigen Reptilien verfolgt worden oder hatte sich in einem Gebäude befunden, in dem sich eine Schlange versteckte und ihn dann angriff, wenn er es am wenigsten erwartete. Er erinnerte sich daran, schweißgebadet und schreiend erwacht zu sein, um anschließend ins Bett seiner Eltern zu schlüpfen, ein Ort, wo Schlangenträume ihn nicht bedrohen konnten.
Von allen Geschöpfen, die die Erde hervorgebracht hatte, erschienen ihm Schlangen am scheußlichsten. Sie weckten eine Art primordiale Furcht in ihm, die rational nicht verstanden werden konnte. Sein Volk war eins gewesen mit Natur und Tierwelt. Einige hatten Schlangen sogar verehrt oder ihnen besonderen Respekt entgegengebracht. Ihr Schöpfungsmythos berichtete voller Ehrfurcht von alten, geheimnisvollen Reptilien.
Dennoch bereiteten Schlangen Chakotay profundes
Unbehagen, aus Gründen, die ihm verborgen blieben. Wenn er eine sah, fühlte er sich von kalter Beklommenheit
heimgesucht. Er hasste ihre Farben, ihre Schuppen, ihre Bewegungen.
Als Chakotay den angeschwollenen Leib der Boa sah,
krampfte sich etwas in ihm zusammen und angewidert wandte er sich ab. Er spürte den Blick seines Vaters, scherte sich aber nicht darum. Dies war ein weiteres Beispiel für die Schrecken und Demütigungen, die er bei der törichten Suche nach den Ahnen hinnehmen musste.
»Seit Jahrtausenden gibt es hier Schlangen«, sagte Kolopak.
»Unsere Vorfahren verehrten die majestätischen Reptilien wegen ihrer Fähigkeit, die Haut abzustreifen und
wiedergeboren zu werden.« Chakotay ahnte, dass sein Vater in der Begegnung mit der Boa ein weiteres Zeichen für die symbolische Bedeutung ihrer Reise sah.
»Sag das dem Schwein«, erwiderte er ungehobelt.
»Seit dem Anbeginn der Zeit bringen sich Tiere gegenseitig um«, begann Kolopak, aber Chakotay winkte ab.
»Bitte halt mir keinen Vortrag über die natürliche Ordnung der Dinge«, sagte er. »Davon habe ich oft genug gehört.
Können wir jetzt weitergehen? Die Insekten setzen einem nicht so sehr zu, wenn man in Bewegung bleibt.«
Der Vater richtete einen kummervollen Blick auf seinen Sohn und Chakotay fühlte sich ein wenig schuldig. Er unterbrach den Blickkontakt und schlug nach einem Insekt über
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