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Schicksalspfade

Schicksalspfade

Titel: Schicksalspfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Taylor
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dem Rot der
    verletzten Hand Purpur wurde.
    Neelix wusste nicht, wie lange er dasaß. Die ganze Zeit über starrte er auf die Hand, sah überhaupt nichts anderes. Nach einer Weile merkte er, dass der Rand seines Blickfelds dunkel wurde. Wenn er sich nicht bewegte… Vielleicht kroch die Dunkelheit dann immer näher, bis sie ihm den Blick auf die grässlich entstellte Hand verwehrte.
    Er konnte hier sterben. Nie wieder würde er die Liebe seiner Familie spüren, nie wieder zusammen mit seinen Schwestern am Tisch sitzen, während ihr Vater von den Ereignissen des Tages berichtete. Nie wieder würde er den Duft frisch gebackener Trove-Riegel riechen. Ein einsamer Tod stand ihm bevor, ohne jeden Trost. Wie lange mochte es dauern, bis man seine Leiche fand? Alixia wusste von diesem Ort. Vielleicht fand man ihn, bevor die Insekten seinen Körper in eine abscheuliche schwammige Masse verwandelten, so wie bei den toten Tieren, die er gelegentlich im Wald gefunden hatte.
    Wie konnte dies geschehen? Es war nicht fair – er war doch erst zwölf Jahre alt. Es gab so viele Dinge zu lernen, so viele Abenteuer zu erleben. Er durfte noch nicht sterben. Wo war Alixia?
    Er hob den Kopf und sah den letzten Krebe. Das
    schreckliche, fratzenhafte Gesicht, das er gemalt hatte, starrte ihn an. Der Blick des monströsen Wesens schien ihn zu durchbohren, als es seinen Triumph genoss und ihn verhöhnte.
    Das grässliche Gesicht veränderte etwas in Neelix, gab ihm neue Kraft. Ich muss fort von hier, nach Hause, dachte er.
    Er stand auf, ohne dass die verletzte Hand den Boden
    berührte. Die Lichtung neigte sich vor ihm von einer Seite zur anderen und einige Sekunden lang befürchtete Neelix, das Gleichgewicht zu verlieren und zu fallen. Aber nach und nach stabilisierte sich die Welt und erlaubte es ihm, sich zu orientieren.
    Er brachte einen Schritt hinter sich, dann noch einen. Heißer Schmerz ging von der verstümmelten Hand aus, und die
    Übelkeit kehrte zurück, brannte gallig in der Kehle. Er zwang sich, in Bewegung zu bleiben. Ein dritter Schritt, dann der vierte und fünfte. Noch ein Schritt, sagte er sich jedes Mal.
    Noch ein Schritt.
    Er rief keine Götter an, denn er glaubte nicht an irgendwelche unsichtbaren höheren Wesen. Aber er versprach allen, die er liebte und die ihn liebten, sie nie wieder zu enttäuschen, wenn ihm die Heimkehr gelang. Er wollte sich in der Schule hervortun, seinen Eltern helfen und nie wieder mit seinen Schwestern streiten – wenn er es nach Hause schaffte.
    Noch ein Schritt… noch ein Schritt… noch ein Schritt…
    Etwa zwanzigtausend Schritte später, lange nach Einbruch der Dunkelheit, wankte er auf den Hof vor dem Haus seiner Eltern und brach zusammen. Er fiel auf die verletzte Hand, und Schmerz explodierte in ihm, verhinderte aber nicht, dass er das Bewusstsein verlor. Seine letzten Gedanken galten Alixia.
    Sie stand neben ihm, als er im Krankenhaus erwachte, die Hand in Verbände gehüllt, der Geist von schmerzlindernden Mitteln umnebelt. Er sah ihre liebevollen Augen und ein vertrautes Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Oh, Neelix… Du hast uns allen einen großen Schrecken eingejagt. Was hätten wir nur ohne unseren kleinen Bruder gemacht?«
    Die Heilung der Hand dauerte lange. Mehrere Operationen waren nötig, um Nerven und Sehnen zu regenerieren, und bei einigen weiteren wurde Haut verpflanzt. Während all dieser Zeit warf ihm niemand vor, mit einer Waffe gespielt zu haben.
    Als die Hand schließlich geheilt war und Neelix wieder zur Schule ging, kam eines Abends sein Vater und brachte ihm einige Bücher. »Wenn du mehr über Waffen wissen möchtest, so solltest du dabei richtig vorgehen.« Sie lasen gemeinsam, sprachen über die verschiedenen Waffenarten und gingen das Thema von Grund auf an.
    Wochen später brachte Neelix’ Vater eine niederenergetische Waffe und die notwendigen Wartungsinstrumente mit nach Hause. Als Neelix bewiesen hatte, dass er die Waffe
    demontieren, säubern und reparieren konnte, meinte sein Vater, die Zeit wäre reif für Schießübungen. Sie suchten einen Ort auf, von dessen Existenz Neelix erst jetzt erfuhr: eine breite, grasbewachsene Ebene mit Zielen in unterschiedlicher Größe und Form. Etwa zwanzig Talaxianer trainierten dort mit ihren Waffen.
    »Oh, Eximar… Wir hätten nicht gedacht, Sie einmal auf dem Schießplatz zu sehen.« Diese Worte stammten von einem hoch gewachsenen, korpulenten Mann, dessen Flecken fast schwarz waren, Zeichen hohen Alters. Seine

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