Schicksalspfade
aufsuchen und mich an einen Arzt wenden, falls das notwendig sein sollte.«
Er drehte sich abrupt um und ging fort von der Priesterin, spürte dabei, wie schnell sein Herz klopfte. Vielleicht war er krank. Er beschloss, sich mit besonderer Sorgfalt den Disziplinen zu widmen, Kräutertee zu trinken und früh zu Bett zu gehen.
Als es Zeit wurde für die Nachmittagsmahlzeit, fühlte sich Tuvok geradezu ausgehungert. Er stand von der Matte auf, um sich den anderen Brüdern und Schwestern in der großen Speiseempore hinzuzugesellen. Dort füllte er sein Tablett, nahm mehrere Näpfe mit Suppe, einen halben Laib Nussbrot und verschiedene Früchte. Damit setzte er sich an den Tisch und begann zu essen.
Die Suppe schmeckte ausgezeichnet. Sie erwies sich als sehr würzig und enthielt große Sorda-Brocken, ein Gemüse, das er schon als Kind sehr gern gemocht hatte. Das Brot war frisch gebacken und noch warm. Tuvok riss dicke Stücke vom Laib ab, tunkte sie in die Suppe und verschlang sie regelrecht. Das Obst, Kuffi, war reif und saftig, enthielt aber zu viele Kerne.
Tuvok genoss die Früchte trotzdem und fragte sich dabei, wie sie in Brot gebacken schmecken mochten. Er beschloss, sich mit einem entsprechenden Vorschlag an die Bäcker zu
wenden.
Er überlegte, ob er noch mehr Brot und Suppe holen sollte, als er sich einer sonderbaren Stille um ihn herum bewusst wurde. Erstaunt hob er den Kopf und stellte fest, dass ihn die anderen Brüder und Schwestern ansahen. Der Ausdruck ihrer Gesichter reichte von Neugier bis hin zu Abscheu. Gleichzeitig merkte er, dass er während des Essens ein ziemliches
Durcheinander angerichtet hatte. Suppe war verschüttet; Brotbrocken und Kuffi-Kerne lagen auf dem Tisch. Außerdem spürte er die Feuchtigkeit von Fruchtsaft im Gesicht und an den Händen.
Ein oder zwei Sekunden lang reagierte er mit Überraschung auf die von ihm selbst geschaffene Unordnung, aber dann regte sich etwas anderes in ihm: heißer Zorn. »Was starrt ihr mich so an?«, fragte er scharf. »Ihr verletzt meine Privatsphäre.«
Hinter Tuvok erklang eine sanfte Stimme und veran-lasste ihn, sich umzudrehen. Teknat, ein Priester und Freund, reichte ihm ein weißes Tuch. »Darf ich dir eine Serviette anbieten?«, fragte er ruhig.
Tuvok sprang wütend auf. »Wenn ich eine Serviette will, hole ich mir selbst eine.« Er riss Teknat das Tuch aus der Hand und warf es zu Boden, wirbelte dann herum und stapfte fort.
Als er die Empore verließ, bemerkte er M’Faus blasses, faltiges Gesicht auf der anderen Seite des Raums. Der Blick ihrer dunklen Augen folgte ihm.
, In seinem Zimmer fand Tuvok keine Ruhe, ging immer
wieder auf und ab. Zum ersten Mal begriff er, wie klein der Raum war, wie wenig Platz er bot. Er trat zum Fenster und öffnete es in der Hoffung, dass die Abendbrise ihm ein wenig Erleichterung verschaffte.
Die Hitze der Wüste strömte herein. Das Zimmer war
angenehm kühl gewesen, aber jetzt schien es immer stickiger zu werden und das Atmen fiel Tuvok schwer. Mit einem leisen Fluch schlug er das Fenster zu. Das Geräusch, mit dem es gegen den Rahmen stieß, erschien ihm so laut wie eine Trikobalt-Explosion. Seine empfindlichen Ohren schmerzten und er fluchte erneut.
Er streckte sich auf der Matte aus, die Arme über den Augen, und versuchte verzweifelt, Kontrolle über das zu gewinnen, was mit ihm geschah. Er atmete dreimal tief durch und begann mit der ersten Disziplin, doch schon nach wenigen Sekunden splitterten seine Gedanken wie brechendes Glas. Vor dem inneren Auge sah er, wie Teknat ihm eine Serviette reichte, und erneut quoll Zorn in ihm empor. Er ballte die Hand zur Faust, schlug damit an die Wand. Schmerz entstand – das einzige beruhigende Empfinden an diesem Tag.
Ein leises Läuten wies darauf hin, dass jemand an der Tür stand. »Geh fort!«, rief Tuvok laut und schrill.
Aber stattdessen öffnete sich die Tür und M’Fau stand im Eingang.
Betroffen stand er auf und sah, dass die Haut an seinen Fingerknöcheln aufgeplatzt war. Grünes Blut tropfte zu Boden.
»Ich… entschuldige mich«, sagte er mühsam. »Ich wüsste nicht, dass Sie es waren.«
M’Fau antwortete nicht, betrat das Zimmer und nahm auf einem Stuhl Platz. Dort saß sie mit den Händen auf den Knien, wie ein dürrer Raubvogel, dazu bereit, sich auf ein Opfer zu stürzen. »Setz dich, Tuvok«, sagte sie und für ihn hörte es sich an, als käme ihre Stimme aus einem tiefen Grab.
Er kam der Aufforderung nach und setzte sich.
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