Schicksalspfade
Wächter fort waren, fielen die Gefangenen sofort über die verbrannten Körper her, rissen das Fleisch von den Knochen und verschlangen es. B’Elanna drehte sich der Magen um und das Bild vor ihren Augen verschwamm.
Übelkeit stieg in ihr empor und sie senkte den Kopf, sodass mehr Blut in ihr Gehirn strömte. Wenige Sekunden später fühlte sie sich besser und sah ihre beiden Begleiter an. Die beiden Männer waren so blass, wie sie selbst es vermutlich war. Schweiß glänzte in Harrisons Gesicht und in seinen Augen flackerte es entsetzt. Chakotay blickte ernst zur Arena, die sich in ein Krematorium verwandelt hatte, und eine Ader in seiner Schläfe pulsierte.
Schließlich drehte er sich um und sagte: »Man muss jedes Mittel nutzen, um zu überleben. Gehen wir.«
B’Elanna fühlte Erleichterung. Arbeit, Zielstrebigkeit, Aktivität – diese altehrwürdigen Tugenden würden ihr helfen, den Schrecken zu überwinden. Man erledige die Arbeit und werde seiner Verantwortung gerecht, ohne innezuhalten.
Letztendlich war das immer am besten.
An jenem Abend saß eine ernste Gruppe an kleinen Feuern und ihre Mahlzeit bestand erneut aus bröckeligem Kuchen.
B’Elanna, Chakotay und Harrison hatten von ihren
Beobachtungen berichtet. Den anderen war gar nicht bewusst gewesen, dass etwas geschah – die Gefangenen um sie herum hatten sich völlig normal verhalten, die entsetzlichen Ereignisse einfach ignoriert. Allerdings war ihnen der beißende Geruch aufgefallen.
»Wir könnten einen Themawechsel gebrauchen«, sagte
Chakotay leise. »B’Elanna, was halten Sie davon, uns ein wenig abzulenken?«
B’Elanna stellte fest, dass es ihr gar nicht widerstrebte, die Geschichte ihres Lebens zu erzählen. Fast freute sie sich sogar darauf. Sie wäre zu allem bereit gewesen, um nicht mehr an die furchtbaren Ereignisse zu denken. Auch wenn es bedeutete, vom größten Schmerz ihres Lebens zu erzählen.
6
Daran, dass er ging, erinnerte sie sich nicht. An die Zeit vor seinem Verschwinden hatte sie nur sehr vage Erinnerungen: eine starke, tiefe Stimme… Arme mit gekräuselten dunklen Haaren… in diese Arme sprang sie, von einer Plattform in einem See… der Geruch der Ebenen von Nessik nach einem Gewitter im Sommer… das Haar zu Zöpfen geflochten… und die Stimmen, leise und zornig, Stimmen, bei denen sich etwas in ihr verkrampfte, die ihre Hände seltsam feucht werden ließen. Streitende Stimmen.
An die Zeit nach seinem Verschwinden und mit ihrer Mutter erinnerte sie sich zu gut.
»B’Elanna, HighoS! Komm sofort da raus. Ich lasse nicht zu, dass du dich wie eine feige Bartkatze in deinem Zimmer versteckst.«
»Ich komme nicht.« Ihre Stimme klang alles andere als tapfer, musste die achtjährige B’Elanna zugeben, aber diesmal war sie entschlossen, ihrer Mutter nicht nachzugeben. Diesmal wollte sie sich durchsetzen.
»Du darfst dich von den anderen nicht so sehr beschämen lassen, dass du dich versteckst. So verhalten sich keine Klingonen.«
»Und wenn schon! Ich bin keine Klingonin!«
Kurze Stille folgte und dann rüttelte jemand an der Tür des Schlafzimmers. »B’Elanna, mach sofort auf.« Eine neue Schärfe erklang nun in der Stimme ihrer Mutter. B’Elanna kannte sie und normalerweise ließ sie sich davon
einschüchtern. Heute wollte sie sich nicht davon beeindrucken lassen. Sie hatte das elektronische Schloss der Tür aktiviert und war fest entschlossen, in ihrem Zimmer zu bleiben, bis sie starb. Wie lange dauerte es, bis man verhungerte? Es spielte keine Rolle. Wie lange auch immer es dauern mochte:
B’Elanna wollte hier bleiben, unter dem Bett, mit der Plüschkatze Gato. Sie würden auch weiterhin nebeneinander liegen, bis in alle Ewigkeit, bis ihr Körper verweste und nur das Skelett übrig blieb, bis Knochenfinger Gatos Pelz umschlangen.
Wenige Augenblicke später hörte B’Elanna, wie sich die Tür öffnete. Die Füße und Beine ihrer Mutter erschienen im Zimmer, näherten sich dem Bett. Dann zeigte sich ein von Stirnhöckern dominiertes Gesicht.
»Komm unter dem Bett heraus. Ich will nicht, dass du dich versteckst.«
Kummervoll kroch B’Elanna hervor und verließ den sicheren Ort. Wie hatte es ihre Mutter geschafft, ins Zimmer zu gelangen?
Prabsa Torres schien ihre Gedanken zu lesen. »Es hat keinen Sinn, das Schloss zu aktivieren. Ich kann es jederzeit deaktivieren. Stell dir vor, ein Feuer bricht aus und ich muss dich schnell in Sicherheit bringen. Oder du wirst krank und kannst die Tür nicht
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