Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
er nur so blind sein können? Gut, es war stockfinster gewesen, mehr als einen Schemen hatte er nicht wahrgenommen, aber er hätte es merken müssen. Unbedingt!
»Magnus!« Er nahm dem Gefangenen den Knebel aus dem Mund.
»Überrascht, lieber Vetter?« Der Gefangene lächelte böse.
Christians kleiner Bruder! Gerade erst achtzehn geworden. Lange war es her, dass er ihn zuletzt gesehen hatte. Damals war Magnus noch fast ein Kind gewesen, aber die Ähnlichkeit war unverkennbar: der Bogen des Munds, die gleichen Augen wie Christian.
»Was treibst du hier?«
»Was hast du in Kopenhagen getrieben?«, giftete der Junge zurück. »Weißt du, was man Christian angetan hat?« Magnus’ Blicke trafen Simon bis ins Mark.
»Lebt er noch?«, fragte er leise.
»Leben? Ja, fragt sich nur, wie!« Magnus spie vor Simon aus.
»O Mann!«, entfuhr es Kalle. »Mit der Verwandtschaft hat man auch nur Ärger, ne?«
»Weiß jemand, dass ihr ihn erwischt habt?«, fragte Jannick und wandte sich an seine Gefährten.
Simon schüttelte den Kopf.
»Dann schafft ihn verdammt noch mal unter Deck auf die Elisabeth! Ich will nicht, dass er in die Mühlen dieses Kriegs gerät.«
»Das ist doch längst geschehen!«, zischte Magnus, aber er wehrte sich nicht und ließ sich auf die Kogge führen.
»So, und jetzt schließ die Ladeklappe!«, befahl Jannick. Simon gehorchte und sah aus den Augenwinkeln, wie sein Bruder dem Vetter die Fesseln löste. Für einen Moment war er versucht, Einspruch zu erheben, aber er wusste, das wäre sinnlos gewesen. Für Jannick war Magnus kein dänischer Spion, sondern sein jüngster Vetter, fast noch ein Junge.
»Also, ich höre«, begann Jannick. »Seit wann stehst du in Diensten der dänischen Krone?«
Magnus verschränkte trotzig die Arme über der Brust und schwieg.
»Hat es mit Christian zu tun?«, fuhr Jannick ungerührt fort. »Was ist ihm widerfahren?«
»Frag deinen Bruder!«, stieß Magnus bitter hervor. »Der ist schuld daran.«
»Ich will es aber von dir hören. Was ist geschehen?«
Magnus atmete tief durch. Einmal, zweimal. Kein Wort kam ihm über die Lippen. Simon ging davon aus, dass er sich weiterhin in trotziges Schweigen hüllen würde, aber dann antwortete er doch.
»Er dachte, Simon hätte wirklich mit seinem Vater gebrochen. Er wollte nicht, dass die Familie zerbrach. Und zum Dank dafür drehte Simon es so, als wäre Christian der Spion.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Simon. »Ich habe nichts dergleichen getan. Ja, ich habe die Angriffspläne entwendet, aber ich habe niemals eine Spur zu Christian gelegt. Im Gegenteil, als ich hörte, dass man ihn eingekerkert hatte, wollte ich zu ihm. Aber ich kam zu spät.«
»Dann hast du also mitbekommen, was sie mit ihm angestellt haben?« Magnus funkelte seinen Vetter voller Hass an. Simon zuckte zurück. Es riecht nach Moder, Fäulnis und Angst. Irgendwo schreit jemand …
»Du hast mitbekommen, wie sie ihm die Schulter ausgerenkt haben? Die Knochen seiner rechten Hand mit einem Hammerschlag zertrümmert? Wie sie ihm …«
»Hör auf!«, schrie Simon.
»Ach, das willst du nicht hören? Dabei hätte diese Behandlung doch dir zugestanden, du verdammter Verräter!«
»Ich bin kein Verräter«, entgegnete Simon. »Ich wollte nur meine Heimat schützen. Vor eurem machtgierigen König, der sich nicht scheut, Frauen und Kinder niedermetzeln zu lassen, wenn er auf Beutezug geht. Du weißt doch auch, was sich auf Fehmarn ereignet hat, oder? Ich wollte die Bewohner von Heiligenhafen warnen, verhindern, dass es hier ebenso geschieht wie auf Fehmarn.«
»Und der Hanse einen Handelsplatz erhalten, nicht wahr?«
»Was auch nicht zum Schaden unseres gemeinsamen Großvaters wäre«, warf Jannick ein. »Wir sind ein Geschlecht von Kaufleuten. Dein Vater ebenso wie der unsere, Magnus. Wir sind keine Mörder oder Soldaten. Aber wir müssen die Sicherheit unserer Handelswege schützen.«
»Und ich musste meinen Bruder schützen!«, entfuhr es Magnus. »Nach Simons Flucht erkannten sie ihren Irrtum, aber der Ruch des Verräters blieb an Christian und unserer Familie haften. Christian ist ein gebrochener Mann. Sie haben nicht nur seinen Körper verkrüppelt. Ihr würdet ihn nicht mehr wiedererkennen.«
Die Bitterkeit in Magnus’ Stimme war einer tiefen Betroffenheit gewichen.
»Deshalb wolltest du deine Treue zu Dänemark beweisen?«, fragte Jannick. Magnus nickte.
»Auch um den Preis, dass zahlreiche Menschen hier den Tod finden könnten?«
»Was
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