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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Sieben
Uhr. Wir essen. Wir blicken auf den Hafen und sehen, ob die Luft rein ist. Wenn
die Sonne untergeht, schlendern wir unauffällig bis zum Baumwall. Dann wird
alles sehr rasch gehen.«
    Der Oberinspektor starrt aus dem Fenster. Im Westen ist der Himmel
schwarz. Ein Fetzen Papier tanzt über den Karl-Muck-Platz, angehoben vom ersten
Windhauch seit Tagen. »Wir sollten uns schon eine Stunde eher treffen«, schlägt
er vor. »Es wird früher dunkel werden, als uns das lieb ist. Es kommt ein
Gewitter auf.«
    Kurze Stille am anderen Ende der Leitung. »Dann haben wir doch auf
jeden Fall genug Wind. Ich bin ein Schönwettersegler«, erwidert MacDonald
schließlich nonchalant. »Ich werde heute Nacht viel lernen. Bis sechs Uhr dann
also.« Er legt auf.
    Stave ruft Erna Berg etwas von Ermittlungen zu, die ihn in
die Stadt führen. Dann schlüpft er aus seinem Büro und eilt nach Hause. Der
Brief an Karl hängt noch immer an der Tür. In seiner Wohnung zieht er sich um,
undeutliche Jugenderinnerungen im Kopf. Wende, Halse? Vorschot, Großschot? Wenn
man das Boot nach links steuern will, muss man die Ruderpinne nach rechts
drücken, oder anders herum? Es heißt auch nicht links, sondern backbord. Stave
käme mit einer Yacht nicht einmal heil aus dem Hafen. Er hofft, dass MacDonald
weiß, was er tut. An eines aber erinnert er sich noch aus seiner Zeit auf der
Alster: Es könnte nass werden. Die Jolle in Schieflage bei Wind, gurgelndes
Wasser, das um die Füße schwappt, feuchte Arme und Hände. Einer seiner Freunde
ist einmal gekentert und wäre beinahe ertrunken.
    Also streift er sich eine alte Hose aus grobem Stoff über, die er
zuletzt trug, als er seine Wohnung renovierte, um Anna zu imponieren. Segel-
oder Turnschuhe hat er nicht, und jetzt ist nicht die Zeit, noch welche auf dem
Schwarzmarkt zu erstehen. Die Straßenschuhe müssen reichen. Hoffentlich
ruiniert er sie sich nicht, es ist sein einziges Paar. Ein altes Hemd aus
dunkelblauem Stoff, weiß würde nachts leuchten wie eine Lampe. Ein alter,
verbeulter Hut. Sein Regencape. Der Oberinspektor rollt den schweren,
gewachsten Umhang zusammen und stopft ihn in einen alten grünen Lederrucksack.
Darauf legt er ein Paar Handschellen. Schließlich holt er seine FN 22 aus dem
Holster, kontrolliert das Magazin, packt die Pistole oben auf die Sachen. Stave
ertappt sich dabei, dass ihm das Spaß macht. Abenteuer.
    Um kurz vor sechs Uhr ist er am Fischereihafen Altona:
Große Elbstraße, zu beiden Seiten schmale, lang gestreckte, etwas verlotterte
Schuppen aus Backstein, Blech und Holz. Lagerhallen für die kostbare Fracht der
Fischer, Räucherstuben, ein paar Läden, zwei, drei Restaurants. Die Ziegel
schwitzen den Mief nach altem Fisch aus. Schwarze Wolken wölben sich wie ein
riesiger Sargdeckel über die Stadt. Windböen, Ruhe, Windböen, Ruhe. Der
Oberinspektor zählt im Geiste Sekunden mit: Die Böen kommen immer rascher
hintereinander, dauern immer länger. Wird eine nette Überfahrt werden, denkt er
beklommen. Menschen auf der gepflasterten Straße, manche ziehen Karren hinter
sich her, einige Lastwagen stoppen mit asthmatischen Motoren vor den
Lagerhäusern. In der Elbe tanzen nur einige rote Bojen in der Strömung. Die
Schiffe von der Nordsee werden erst später anlanden und die Matrosen die Fische
über stählerne Rutschen bis direkt in die Schuppen gleiten lassen. Die Rutschen
blockieren das ganze Elbufer, deshalb ist es schon vor Jahren verboten worden,
tagsüber die Fracht nach Hamburg zu bringen. Doch schon jetzt finden sich die
ersten Käufer ein, Restaurantköche, Hausfrauen, die Diener aus den von den
Briten requirierten Villen. Arbeiter, die Fische ausnehmen und räuchern werden.
Kellner aus den Restaurants, Zigaretten in den Händen. Britische Militärpolizisten
in dünnen, schilfgrünen Uniformen, die missmutig in den finsteren Himmel
starren, um abzuschätzen, ob das Gewitter noch vor Ende ihres Dienstes
niedergehen wird. Es sind nur ein paar Schritte den Hang hoch bis zur
Röperstraße, denkt Stave. Keine fünf Minuten und ich wäre bei Anna.
    Eine enge Treppe führt zu »Sellmers Kellerwirtschaft« hinunter,
dahinter ein großer Raum, niedrige Decke, an der Elbseite Fenster mit Blick auf
den Fluss, drei Dutzend runde Tische, die Hälfte schon besetzt. Kalter
Zigarettenrauch vermischt mit dem Gestank nach Fisch und altem Bratenfett. Der
Kripobeamte entdeckt MacDonald an einem Tisch in der entferntesten Ecke des
Raumes, direkt an einem

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