Schieber
Schritt ein. »Wir sind wieder Partner, alter Junge«,
ruft er und schüttelt ihm die Hand. Der Offizier hat es längst aufgegeben, den
Oberinspektor mit der Hand am Mützenschirm zu grüßen: blonde Haare, rosige
Wangen, wasserblaue Augen.
»Ist das offiziell oder nicht offiziell?«, fragt Stave und bietet
seinem Besucher einen Platz an. Er ertappt sich dabei, wie er sich trotz allem
darüber freut, den Engländer zu sehen.
»Halb offiziell«, antwortet MacDonald. »Ich war vorhin auf der
Esplanade und habe mir die Zustimmung von höchster Stelle geholt.«
Der Oberinspektor nickt. Esplanade 6, feinste Lage, Westufer der
Binnenalster: Dort residiert Vaughan Berry, der britische Zivilgouverneur
Hamburgs. Ein jovialer Labour-Politiker, der exzellent Deutsch spricht – nicht
jemand, der rasch nervös wird.
»Mister Berry möchte meine Beteiligung an Ihrem Unternehmen
allerdings nicht an die große Glocke hängen.«
»Ich soll meinem eigenen Vorgesetzten nicht sagen, dass ein
englischer Offizier bei den Ermittlungen mitmischt?«
»Schön, dass wir uns so gut verstehen«, erwidert MacDonald fröhlich.
»Die Dinge sind schon kompliziert genug.«
Stave murmelt Unverständliches, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
Gouverneur Vaughan Berry ist als Repräsentant der Besatzungsmacht die oberste
Autorität in der Hansestadt. Doch die Engländer haben wieder Wahlen erlaubt.
Seit 1946 amtiert deshalb der erste gewählte Bürgermeister der Nachkriegszeit,
Max Brauer von der SPD. Und der wiederum regiert im Senat mit einer Koalition
aus der FDP – und den vier Abgeordneten der KPD. Das macht alle Ermittlungen in
Sachen Blohm & Voss besonders sensibel, denn die Arbeiter dort sind eben
jene Wähler, denen die vier kommunistischen Abgeordneten ihre Sitze verdanken.
»Weiß der Gouverneur von Ihrer besonderen Qualifikation?«, fragt
Stave schließlich. Eine diskrete Anspielung darauf, dass MacDonald, wie der
Oberinspektor im letzten Fall erfahren musste, einem Zweig des britischen
Geheimdienstes angehört. Er kennt kaum Einzelheiten, doch genug, um zu wissen,
dass jener Offizier mächtiger ist, als es den Anschein hat.
»Eben darum hat mich Mister Berry mit der Sache betraut. Die Demontage
bei Blohm & Voss ist eine leidige Angelegenheit, die uns nichts als
Scherereien macht. Ich persönlich bin dafür, dass das, was die Kameraden von
der Air Force nicht getroffen haben, fairerweise stehenbleiben sollte. Aber
Politik ist Politik. Wir lassen die Maschinen abbauen – und liefern damit den
Kommunisten eine exzellente Gelegenheit, gegen uns zu agitieren.«
»Stalin ist Ihr Verbündeter«, erinnert ihn Stave mit sanfter
Bosheit.
»War, solange Hitler noch sein Unwesen trieb. Nun sind wir nicht
mehr glücklich mit Uncle Joe in Moskau. Jetzt sind die Russen die neuen
Deutschen. Und die Deutschen, die wir gestern noch mit Bomben zugeschüttet
haben, würden wir nun lieber auf unserer Seite stehen haben, als auf der
Moskaus.«
»Sie wollen uns zu Hilfstruppen machen, so wie Inder oder
Afrikaner?«, fragt Stave ungläubig. »Wir Deutschen haben die Schnauze voll vom
Krieg.«
»Es gibt immer ein paar Kerle, denen die Lust am Krieg nicht
vergeht«, versetzt MacDonald. »Und vielleicht ist einer dieser Kerle zufällig
Kommunist und sucht sich zufällig einen ermordeten Jungen auf einer
demontierten Werft aus, um seinen ganz persönlichen Feldzug gegen Seine
Majestät zu starten.«
»Deshalb sind Sie hier.«
»Nennen wir es Kriegsprävention.«
»Sehr diskret.«
»So diskret, dass Sie den Ruhm einheimsen werden, wenn Sie den Fall
lösen. Ich existiere offiziell gar nicht. Ich bin nur hier, falls bei den
Ermittlungen etwas politisch Heikles auftauchen sollte.«
»Was?«
Eine nonchalante Geste. »Lassen wir uns überraschen. Nur Sie und
Mister Berry wissen, dass ich meine Nase in diese Sache stecken werde – und
Erna selbstverständlich. Aber sie hat allen Grund, verschwiegen zu sein.«
»Gut, dass wir uns auf Frau Berg verlassen können«, brummt Stave.
Die Sache beginnt, ihm Spaß zu machen.
»Wie sieht Ihr Plan aus?«, fragt MacDonald.
»Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann mach einen Plan«,
versetzt der Oberinspektor.
Es ist stickig im Büro, obwohl Stave das Fenster
aufgerissen hat. Staub flimmert in der Luft, die Männer atmen den Duft alter Leitzordner
ein. Kienle erscheint kurz und reicht dem Oberinspektor einige noch feuchte
Fotoabzüge auf den Schreibtisch. Nun stinkt der Raum auch noch
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