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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Häuserzeilen der Nord- und Ostseite sind von einigen
Bombenvolltreffern gezeichnet. In der Mitte ein 17 Meter hoher Brunnen mit
einer stolzen Frauenfigur – der Hansa, die mit goldener Krone geschmückt,
Dreizack in der Linken, mit der Rechten gebieterisch in die Ferne weist. Pathos
aus der Kaiserzeit, eine Königin im Trümmermeer. Stave fragt sich, wie schon so
oft, warum Krankenhäuser und Schulen zerschmettert worden sind, so etwas aber
stehenblieb. Zufall? Oder waren die Bombenschützen der Royal Air Force so
präzise, wie MacDonald spöttisch versichert hat? Flog da einer hoch durch den
von Bränden und Leuchtspurgeschossen erhellten Nachthimmel und beschloss in einem
Anflug zynischer Allmacht, Hamburg auch noch die Demütigung zu bringen, indem
er alles ausradierte, nur die nutzlosesten Monumente nicht?
    Er geht in die Gastwirtschaft »Lenz« in der Brennerstraße, die vom
Hansaplatz fortführt. Lage peilen, Magen füllen. Ein Kartoffelsalat für ein
paar Reichsmark, ein Glas Wasser, danach Ersatzkaffee. Ein Gast beschwert sich
lauthals beim müden Wirt. Jazz weht aus dem Radio, der Mann will aber deutsches
Liedgut hören.
    »Ich drehe das Radio leiser«, beschwichtigt ihn der Wirt und fummelt
an dem Kasten über dem Tresen herum. Stave kommt es so vor, als sei der Jazz
genauso laut wie zuvor, doch der Gast scheint zufrieden zu sein und bestellt
noch einen Kaffee – einen echten, wie der Oberinspektor am Duft erkennt.
Verdammter Schieber, denkt er, du machst ein Vermögen mit Amizigaretten, aber
beschwerst dich über deren Musik.
    Später will Stave noch einmal zum Hansaplatz zurückkehren. Dann ist
es Nachmittag und die Schwarzhändler werden kommen. Mal sehen, ob er etwas für
Karl auftreiben kann. Wäre aber peinlich, wenn ihn die Kollegen vom Chefamt S
dabei erwischen würden. Also hält er von seinem Tisch am Fenster Ausschau nach
Kripo-Spitzeln, die ihm bekannt vorkommen. Eine halbe Stunde sitzt er da,
stochert in seinem Kartoffelsalat, eine Stunde – niemand, den er je gesehen
hätte. Wird heute schon keine Razzia geben, macht er sich Mut.
    In der gläsernen Bahnhofshalle steht die Luft, Stave
schmeckt Kohlenstaub in seinem austrocknenden Mund. Es ist um diese Zeit leer
auf den Bahnsteigen. Nur wenige Fernzüge gehen ab. Die Bahnen ins Umland sind
sparsam belegt. Trotzdem ist es nicht der Oberinspektor, der die junge
Prostituierte entdeckt, sondern umgekehrt: Plötzlich steht sie neben ihm und
zupft ihn am Ärmel.
    »Sie sind kein Freier, das steht fest. Die Kerle haben den richtigen
Blick drauf. Sie dagegen laufen einfach an mir vorbei.«
    »Woher weißt du, dass ich nach dir suche?«
    »Wollen Sie eine Reise machen, ohne Koffer? Auf Hamsterfahrt gehen
ohne Rucksack und Beutel? Sie haben den Mörder vom Adolf noch nicht gefangen,
deshalb sind Sie hier.«
    »Das spricht sich also herum.«
    »Ich mache meine Nachforschungen.«
    Stave blickt sie an. So mager. Die zum Zopf geflochtenen Haare
rötlich schimmernd, obwohl sie sicherlich seit Tagen ungewaschen sind. Er versucht,
sich Hildegard Hüllmann in der Schule vorzustellen, aber irgendwie will ihm
dieses Bild nicht in den Kopf. Er führt sie zu einer Bank am Ende des
Bahnsteigs.
    »Du stellst auf eigene Faust Nachforschungen an?«
    »Ist doch nicht verboten, oder? So lange ich dabei kein Gesetz
breche.«
    »Brichst du eines?«
    Sie lacht, fröhlich eher als frech. Stave bemerkt erstaunt, dass sie
ihn mag. »Die Jungen vom Bahndamm waren vielleicht wütend, dass Sie die am
Samstag aufgescheucht haben!«
    »Du hast mit ihnen geredet?«
    »Ich höre mich um. Kann nicht sagen, dass es meine Freunde sind.
Waren ja auch nicht Adolfs beste Kameraden.«
    »Es gab Ärger, habe ich gehört.«
    »Was immer Ihnen dieser Jim Meinke erzählt hat: Adolf war es nicht.
Der hat niemanden von einem Güterzug gestoßen, auch nicht unabsichtlich.«
    »Meinke sieht das anders.«
    Sie schnaubt wütend. »Die mochten ihn nicht, weil er klüger war! Die
können doch bloß einen Sack Kohle stehlen. Kann jeder Zehnjährige. Aber der
Adolf, der hat weitergesehen. Der hat sich schon ein Geschäft aufgebaut. Der
war nur manchmal am Bahndamm, um mit seinen Freunden Spaß zu machen.«
    »Den Wolfskindern.«
    »Wer es vom Osten bis hierhin geschafft hat, der ist nicht dumm,
Herr Oberinspektor. Wir sind diesen Muttersöhnchen aus Hamburg über.«
    »Der Meinke ist kein Muttersöhnchen. Dessen Eltern sind auch tot«,
erwidert Stave, schärfer, als er wollte.
    »Drücken Sie man

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