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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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am Arm. Schieber, die Könige des
Schwarzmarktes. Stave blickt sich um, hört zu, geht herum. Auch wenn er für
seinen Sohn hier ist, denkt er doch an das, was Hildegard Hüllmann ihm gesagt
hat: Tonbänder. Er hält sich auf dem Hansaplatz länger als notwendig auf, geht
das Risiko ein, erwischt zu werden – aber nirgendwo entdeckt er ein Tonband.
Denk an Karl, sagt er sich schließlich.
    Er hat sich aus dem Notvorrat in der untersten Schublade seines
Büroschreibtisches bedient, hat alle englischen Glimmstengel mitgenommen, die
er in Monaten zusammengetragen hat. Sie beulen seine Jacketttaschen aus, er
verflucht sich für seine Dummheit. Keine Tasche dabei.
    Trotzdem mischt er sich unter die Leute, die Hutkrempe tief ins
Gesicht gezogen. »Männerhose«, flüstert er, »Hemd, Schuhe …«
    Eine halbe Stunde später ist er ein kleines Vermögen in Zigaretten
los. Dafür hat er nun eine helle Leinenhose mit einem hakenförmigen Riss im
rechten Bein, der mit schwarzem Faden genäht worden ist. Ein zu einem
unbestimmbaren Grünbraun umgefärbtes ehemaliges Uniformhemd. »Luftwaffe«, hat
die ältere Frau geflüstert, die es ihm verkaufte, doch Stave vermutet eher, dass
es eine Parteiuniform war. Das trug bis 1945 irgendein Goldfasan. Ist ihm
gleichgültig. Hassia-Schuhe, das Oberleder rissig, die durchgelaufenen Sohlen
dünn wie Papier. Er wird sie mit Zeitungen auspolstern müssen, sie sind Karl
mindestens eine Nummer zu groß. Schließlich eine Aktentasche aus schwarzem
Leder, deren Schloss nicht mehr zuschnappt, um seine Einkäufe unauffällig
fortzuschaffen.
    Erleichtert eilt Stave vom Platz. Keine Razzia! Sein Herz rast. Der
Geschmack von Eisen auf der Zunge. Am Steindamm atmet er durch. Was noch? Er
tastet in seiner Hosentasche herum. Ein Bündel ledriger Reichsmarkscheine.
Hundert Meter weiter sieht er eine Drogerie. Die dicke, schwitzende Besitzerin
steht am Eingang, fingert mit ungeschickten Bewegungen einen langen Haken in
ein Holzrollo, um es vor das leere Schaufenster zu ziehen.
    Stave läuft zu ihr. »Haben Sie Puder?«, fragt er. Seine Stimme
klingt krächzend. Nicht gerade ein überzeugender Auftritt. Die Dicke blickt ihn
nicht einmal an, hat endlich den Haken in das Rollo geführt.
    »Wir schließen«, schnauft sie. »Ist sowieso nichts mehr da. Wird
auch in nächster Zeit nichts aufgerufen.«
    Der Oberinspektor denkt an Karls schrundige Haut. »Ich nehme es UT«,
flüstert er, obwohl er die Ladenbesitzerin nicht kennt. Er hält den Atem an,
als sie ihn endlich eines Blickes würdigt. »UT« – »Unter der Theke«. Kleines,
heimliches Geschäft. Schön profitabel. Selbstverständlich verboten. Verstoß
gegen sämtliche Bewirtschaftungsvorschriften der Besatzungsbehörde. Dafür
brummt einem ein englischer Schnellrichter eine Woche Gefängnis auf oder auch
einen Monat. Hoffentlich sieht sie mir den Krimsche nicht an, denkt Stave.
    »Wollen mal sehen«, sagt die Inhaberin schließlich. Sie lässt das
Rollo mit einem lauten Rattern auf die Fensterbank knallen und wuchtet ihren
Körper durch die Ladentür. Stave folgt ihr erleichtert in den dämmrigen Raum.
    »Kinderpuder. Kinderöl-Emulsion.« Sie holt eine Dose und ein
Fläschchen aus einem Schrank unter der Kasse. »Markenware. Diaderma.«
    »Wieviel?«
    »60 Zigaretten.«
    Stave verzieht das Gesicht. Er fühlt sich wie ein Freier, der mit
einem käuflichen Mädchen verhandelt. »Habe ich alle schon verschanzt. Ich habe
nur noch Geld.« Eine John Players bekommt man für sieben Reichsmark, er legt
420 Mark auf den Tresen, zögert kurz, knallt dann noch einen Zehner mehr
darauf. Ein halbes Jahresgehalt, aber was ist Geld heute noch wert?
    Die Dicke greift sich mit einer überraschend schnellen Bewegung die
Lappen und stopft sie unter ihre Schürze – nicht in die Kasse, wie Stave bemerkt.
Du bist nicht dienstlich hier, ermahnt er sich. Kinderpuder und -öl wirft er in
die Aktentasche. Grußlos geht er davon.
    Seine Wohnung ist still. Quark, Brot, die letzten
Wurstzipfel sind verschwunden. Karl schläft wieder, redet sich der
Oberinspektor für einen Augenblick ein, aber schon da weiß er, dass das nicht
stimmt. Er fühlt es: Die Wohnung ist zu still. Hier atmet niemand mehr.
Erschrocken stürzt er zum kleinen Zimmer. Leer.
    Stave stellt die Aktentasche ab, sein Herz rast. Er ist erleichtert,
Karl nicht leblos auf dem Bett gefunden zu haben. Wo kann er sein? Er sucht auf
dem Küchentisch, in der Stube – kein Brief, keine Notiz. Der Junge wird

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