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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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wird ihm all das schöne Baumaterial klauen, das er sich
zusammengesucht hat. Wahrscheinlich ist er gerade erst nach Hamburg
zurückgekehrt.
    Dann wandern seine Gedanken zu Wilhelm Meinke. Ob der Junge noch
leben würde, wenn er ihn heute Nachmittag verhaftet hätte? Denk besser nicht zu
lange darüber nach, sagt er sich. Vielleicht lag der Körper des Toten schon im
Gebüsch, als er Ehrlich und Anna im Rosengarten nebenan beobachtete. Trotzdem
fühlt er sich unbehaglich, geplagt vom nagenden Gefühl, schuldig zu sein.
    »Wir sind gleich da«, murmelt Ruge, der die Unruhe des
Oberinspektors missversteht.
    »Liegt der Tote noch da?«
    »Wenn Doktor Czrisini sich nicht ungewöhnlich beeilt hat, dann ja.«
    Fünf Minuten später sind sie da. »Stave«, nuschelt der
Pathologe. Er scheint nicht sonderlich überrascht zu sein, den Oberinspektor zu
sehen. Ruge hat den Mercedes auf der Tiergartenstraße geparkt, zwischen den
Bahngleisen und dem Gesträuch, das am Rand von Planten un Blomen wuchert. Der
Arzt und einige Schupos stehen dort, halb hinter einem Busch verborgen.
    Der Oberinspektor blickt auf den mageren Körper des Jungen. Meinke
wollte nach Amerika auswandern, fällt ihm plötzlich ein. Er sagte bei ihrem
ersten Verhör im Winter, er hätte in New York einen Verwandten. Ob sich
irgendjemand die Mühe machen wird, den ausfindig zu machen?
    Die Haare am Hinterkopf des Jungen sind blutverschmiert, der
trockene Boden rund um die Stelle, auf der der Kopf liegt, ist dunkel verfärbt.
    »Schädel-Hirn-Trauma«, sagt Czrisini, der neben den Oberinspektor
getreten ist. »Dem Augenschein nach würde ich sagen: zwei Brüche am oberen Hinterkopf.«
    »Zwei Schläge?«
    Der Pathologe nickt. »Vermutlich. Die alte Hutkrempenregel:
Verletzungen, die durch einen Sturz verursacht werden, liegen am Kopf stets so,
dass man sie sehen würde, hätte das Opfer einen Hut auf. Die meisten
Schlagverletzungen hingegen befinden sich höher am Schädel.«
    »Unter dem Hut, hätte das Opfer einen auf.«
    »Genau – wie bei diesem Jungen hier. Sie kannten ihn?«
    »Flüchtig. Ich habe ihn zweimal verhört. Was glauben Sie: Ist er
hier niedergeschlagen worden?«
    »Der Blutmenge am Boden nach zu urteilen, ja. Kienle hat nirgendwo
sonst in der Umgebung Blut gefunden.«
    »Meinke steht in den Büschen. Vielleicht wartet er auf den nächsten
Kohlenzug. Da tritt sein Mörder hinter ihn und schlägt ihm zweimal auf den
Schädel.«
    »Mit einer Stange oder einem Stein, vermute ich. Vielleicht werde
ich das nach der Leichenöffnung genauer wissen. Ich glaube nicht, dass der
Junge seinen Mörder noch gesehen hat.«
    »In dem Gebüsch hätte er ihn hören können: raschelnde Äste,
Dornengestrüpp, da geht niemand lautlos durch.«
    »Vielleicht fuhr gerade ein Zug vorbei.«
    »Oder Meinke wusste, dass jemand hinter ihm stand, rechnete aber
nicht mit einem Angriff. Seit wann ist er tot?«
    »Der Körpertemperatur nach seit dem späteren Nachmittag. Gegen sechs
Uhr hat ein junges Paar den Mord gemeldet. Die wollten sich hier in den Büschen
amüsieren. Das hat ihnen die Lust verdorben.«
    »Von den anderen Kohlenklauern war wohl keiner mehr hier, als die
Polizei eintraf?«
    »Verschwunden wie die Getreuen des Führers ’45. Die werden sich ein
anderes Revier suchen.«
    »Für die nächsten Tage. Die kehren schon zurück.«
    Stave blickt sich um und winkt einen in langen Dienstjahren
verwitterten Schupo zu sich heran. Wenn Dönnecke jemandem etwas gesagt hat,
dann am ehesten diesem Kollegen. »Es gibt einen Tatverdächtigen?«, fragt er den
schnurrbärtigen Beamten.
    »Wir haben schon drei Bengel befragt«, erwidert der. »Die sind zwar
alle verduftet, aber später sind sie uns ins Netz gegangen. Kohlenklauer sind
ja alte Bekannte. Wir haben sie bei ihren Eltern erwischt. Alle erzählen die
gleiche Geschichte: Einer von den Wolfskindern hat sich irgendwie unbemerkt
hinter Meinke geschlichen, während der D-Zug nach Ostende vorbeiratterte. Er
hat ihm zwei Schläge verpasst, vielleicht mit einem Eisenrohr. Vielleicht mit
einem Schlagstock der Polizei, den er sich irgendwie besorgt hat. Hier gehen
die Aussagen auseinander. Jedenfalls ist er direkt danach verschwunden, bevor
die Kumpane von Meinke etwas tun konnten.«
    »Name?«
    Der Schupo macht eine vage Geste, ein wenig ratlos, ein wenig
verächtlich. »Ein Wolfskind halt. Wir haben seine Beschreibung. Keinen Namen.
Und keine Adresse selbstverständlich. Wir werden Hunderte von verdammten

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