Schief gewickelt (German Edition)
unserer Tagesschausprecher und hat sich mit Ihrem Sohn über Züge unterhalten.«
»Nein, so ein Pech aber auch.«
»Was hast du da, Papa?«
Daniel zeigt auf mein Totenkopfbrikett.
»Das ist ein Geschenk. Für Onkel Hubert und Tante Dörte.«
»Und was sind das da auf das Papier?« Totenköpfe.
»Ähh, das ist … Rock ’n’ Roll .«
»Aber ich will auch ein Rackenrohl.«
*
Kurz vor dem Indoorspielplatz geschieht es mal wieder. Daniel ist mitten in den großen hellbraunen Haufen gestiegen.
Ich will nicht wissen, was der Hund alles gefressen hat, bevor er ihn geschissen hat. Ich will auch nicht wissen, warum der Hundebesitzer zugelassen hat, dass sein Köter hier mitten auf den Bürgersteig scheißt. Ich würde einfach nur gerne wissen, dass dieser Mensch noch heute qualvoll in einer Kläranlage ertrinkt.
Ich halte die Luft an, ziehe Daniel den Schuh aus und versuche das Gröbste an einem der kümmerlichen Grasbüschel abzuwischen, die zwischen Pflastersteinen und Hauswand herausragen.
Das ist ohne Frage ein hartes Schicksal für den Büschel. Er will wachsen und stößt dauernd mit dem Kopf gegen Pflastersteine. Nach viel Mühe und Verzweiflung findet er am Ende doch eine schmale Lücke, windet sich hindurch, und kaum dass er das sauer verdiente Tageslicht erblickt hat, passiert so was. Scheißwelt.
Der Schuh ist natürlich immer noch weit davon entfernt, wieder gesellschaftsfähig zu sein, aber dieses Problem kriecht im Moment, in dem wir die Eingangstür durchschreiten, sofort in den Hintergrund.
Ich fange mal so an: Türkisfarbene Ballonseidetrainingsanzüge sind eine Geißel der Menschheit. Diese Erkenntnis hat sich inzwischen sogar in Sportlerkreisen durchgesetzt, und das will was heißen. Jetzt könnte ich trotzdem gut damit leben, wenn es irgendein Papa wäre, der da im türkisfarbenen Ballonseidetrainingsanzug im Indoorspielplatzeingang herumsteht und auf irgendjemanden wartet. Es ist aber nicht irgendein Papa, sondern es ist Herr Baumer. Und er wartet nicht auf irgendjemanden, sondern auf uns.
»Hallo zusammen! Kleine Überraschung. Gisela hat leider Magenbeschwerden und konnte nicht. Da habe ich mich einfach von der Arbeit losgeeist. Na, Daniel, dann wollen wir uns mal ins Vergnügen stürzen, was?« Daniel knutscht Greta ab. Ich sage irgendetwas und versuche den Kloß im Hals loszuwerden. Herr Baumer kräuselt die Nase.
»Was haben wir denn da? Oh, das war sicher der Hundehaufen vor dem Eingang. Greta hat ihn vorhin zum Glück gerade noch rechtzeitig gesehen.«
Wie? Ach so, ja, der Schuh.
»Wollen Sie kurz mal auf die Toilette damit? Ich passe solange auf.«
»Danke.«
Ich halte den Schuh mit der Sohle unter den laufenden Wasserhahn und sehe teilnahmslos zu, wie sich die Lage langsam bessert. Das Zeug ist zäh. Zu Hause haben wir für solche Fälle extra eine Igitt-Bürste angeschafft, mit der man der Stinkmasse wesentlich energischer zu Leibe rücken kann, aber ich bin mir gar nicht sicher, ob ich diesen Vorgang hier wirklich beschleunigen will. Schließlich weiß ich, dass auf der anderen Seite der Toilettentür Herr Baumer auf mich wartet. Zehn Liter und zwanzig Papierhandtücher später ist der Schuh so sauber, dass ich ihn in einen Operationssaal mitnehmen könnte. Keine Chance auf weitere Verzögerungen. Ich gebe mir einen Stoß, atme tief ein und gehe raus.
»Guck mal Papa. Ich hab schon wieder einen ganz großen Popel. Hab ich dem Gretapapa gezeigt.«
»Gut gemacht.«
So ein Indoorspielplatz hat drei Zonen. Eine für Einbis Dreijährige, eine für Vier- bis Sechsjährige und eine für Eltern. So weit zumindest die Theorie. Die Realität sieht anders aus: Alle sind in der Zone für die Vier- bis Sechsjährigen. Die Ein- bis Dreijährigen, weil sie ein dreidimensionales Kletterlabyrinth mit Bälleschwimmbecken, Rutschröhren und Hindernisparcours viel interessanter finden als Puppenhäuser und Kuschelecken, und die Eltern, weil sie aufpassen müssen, dass ihre Ein- bis Dreijährigen nicht von den Vier- bis Sechsjährigen erdrückt, erschubst oder an die Wand geworfen werden.
So kommt es, dass ich ein paar Minuten später mit Herrn Baumer in der dritten Etage des gigantischen Kletterkäfigs in einem Bällepool sitze und die Beine langmache. Würde man sich die Kinder wegdenken und die Bälle durch Chlorwasser ersetzen, hätte die Szene etwas von Kururlaub in Bad Füssing, aber bevor ich mit Herrn Baumer nach Bad Füssing fahre, bin ich zugegebenermaßen doch wesentlich
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