Schief gewickelt (German Edition)
lieber hier.
Daniel und Greta benutzen unsere Köpfe als Ballwurfzielscheiben. Das ist in Ordnung. Erstens können sie noch nicht so fest schmeißen, dass es weh tut, und zweitens ist Zielscheibe im Bällepool spielen nicht so anstrengend wie über den Hindernisparcours zu kriechen. Gegen den Hindernisparcours ist das, was wir hier machen, schon fast pure Meditation. Daliegen und spüren, wie kleine Bälle auf dem Kopf aufschlagen.
Pock, pockpock, pock, pock.
Herr Baumer bespricht mich, aber das stört meine Versunkenheit nicht. Ich beschäftige mich in bester buddhistischer Tradition mit Mantras, unlösbaren Fragen, die sich angeblich von selbst auflösen, wenn man lange genug darüber meditiert.
Warum kennen Leute wie Herr Baumer nur zwei Variationen, sich zu kleiden: Anzug oder Jogginganzug?
Pock, pock, pockpock, pock.
Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass wir Daniel betrunken auf der Toilette im 103 Club gezeugt haben?
Pock, pockpock, aua, mein Auge, pock.
Warum muss ich bei jeder Gelegenheit an Daniels Kopf schnüffeln, auch wenn er mir noch so sehr auf den Sack geht?
Pock, pock.
Ein kleines Mädchen hält mir einen Luftballon hin.
»Kannst du mir den aufpupen?«
Ich weiß nicht, ob ich das könnte, aber irgendwie will ich es auch nicht versuchen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Greta sich dünnmacht und Daniel ihr hinterherkrabbelt.
»Okay, Herr Baumer, bis jetzt war es nur Spaß. Jetzt wird es ernst.«
Ich wühle mich durch die Bälle und sehe gerade noch, in welchem Tunnel die beiden verschwinden.
»Ernst? Wie meinen Sie das, Herr Heisenkamp?«
Wie ich das meine? Naivling. Hat dich deine Frau nicht über den Hindernisparcours aufgeklärt? Als Erstes kommt die schräge Ebene mit dem über den Boden gespannten Seilgitter. Für die Kleinen ist das in Ordnung, weil sie mit ihren Füßen in die Maschen passen. Wir Großen müssen dagegen mit Händen und Füßen auf dem Seilgitter krabbeln wie Spinnen in ihrem Netz – nur dass einer Spinne das Netz vermutlich nicht so weh tut wie uns dieses elend hart gespannte Kunststoffseil, das sich in unsere bestrumpften Fußsohlen eindrückt wie ein Prägestempel in weichen Siegellack. Ich habe ja schon ein wenig Übung, aber Herr Baumer kommt kaum vom Fleck.
»Los, los, die beiden sind schon fast oben.«
»Ich glaube, ich hänge fest, Herr Heisenkamp.« Tatsächlich. Eine seiner dämlichen Jogginganzugkordeln hat sich im Seilgitter verheddert, und er hängt gerade so unglücklich im Gewirr, dass er nicht rankommt. Ich stöhne und krabble ein gutes Stück Weg, von dem ich eigentlich froh war, dass ich es schon bewältigt hatte, zurück. Die Befreiungsaktion dauert nur ein paar Sekunden, aber das waren ein paar Sekunden zu viel.
»Sie sind weg!«
Herr Baumer hat recht. Die beiden sind oben angekommen und in der nächsten Röhre verschwunden. Über uns, unter uns, von allen Seiten hören wir dumpfes Rumpeln und Kinderurschreie. Die ganze Konstruktion schwankt von Stößen geschüttelt hin und her wie die Andrea Doria im Orkan.
»Was kommt da oben?«
Herr Baumer ist wirklich unruhig.
»Die Heißmangel.«
»Um Himmels willen!«
Okay, es ist natürlich nicht wirklich eine Heißmangel. Es sind zwei gepolsterte Walzen, die von starken Federn zusammengepresst werden und den Eingang zur nächsten Höhle versperren. Sieht so ähnlich aus wie eine Heißmangel, ist aber natürlich nicht heiß. Wenn man klein, schlank und geschickt ist, kann man zwischen den Rollen durchschlüpfen. Wenn man groß und nicht so schlank ist, kann man sich mit roher Kraft und einer gehörigen Portion Todesverachtung ebenfalls durchpressen. Meist ist man danach etwas dünner und etwas länger.
Herrn Baumer habe ich jetzt natürlich einen Riesenschreck eingejagt. Unglaublich, wie schnell der Mann über das Seilgitter kraxeln kann, wenn er glaubt, dass er muss. Soll er ruhig. Dann kann ich mir ein wenig mehr Zeit lassen. Notfalls wird er die beiden schon allein durch die Heißmangel bugsieren. Ich mache wieder die altersschwache Spinne und ziehe mich Zentimeter für Zentimeter nach vorne.
Jetzt wird ja von modernen Menschen erwartet, dass sie sich schnell auf neue Situationen einstellen können. Finde ich prinzipiell auch in Ordnung, und spätestens seit Daniel auf der Welt ist, bin ich sowieso der Mister Neue Situation aller Klassen. Wie ein junger Frosch von Seerosenblatt zu Seerosenblatt hüpfe ich fröhlich von neuer Situation zu neuer Situation, und welches neue Bild
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