Schiff der tausend Träume
über Grover zu sprechen.
Sie waren schon ein Gespann; sie beide hatten etwas zu verschweigen. War das, was sie auf der
Titanic
durchgemacht hatten, die Ursache dafür? Niemand, der dabei gewesen war, sprach viel darüber. Die öffentliche Untersuchung vor vielen Jahren hatte so viele skandalöse Lücken in den Sicherheitsbestimmungen aufgedeckt. Wenigstens musste jetzt jedes Schiff genügend Rettungsboote an Bord haben und Rettungsübungen durchführen. Was war noch verdeckt oder übertüncht worden? Das interessierte jetzt niemanden, nicht seit dem Krieg. Es war ein Stück vergessener Geschichte.
Hatte das Entsetzen über eine solche Erfahrung auch andere Überlebende außer May in geistige Verwirrung gestürzt? Kein Wunder, dass Geheimnisse so schwer an die Oberfläche zu bringen waren, wenn in jener Nacht so viel Hoffnung und so viele Träume mit dem Schiff versunken waren. Das alles war zu tief, um es zu begreifen, und jetzt war dafür auch nicht der richtige Zeitpunkt. Jetzt war nur wichtig, ein Zuhause für die Smiths zu schaffen und wieder ein Lächeln auf das Gesicht des Kindes zu zaubern.
67
Schweigend fuhren sie die gewundene Straße hinunter. »Mir gefällt die Strecke in die Stadt, sie ist so friedlich. Freuen Sie sich auf Ihren Besuch?«, fragte Selwyn und schaute starr geradeaus, während May ihre Gedanken sammelte und sich an ihre Handtasche klammerte, um Halt zu finden.
»Es ist Monate her, ich bin mir nicht sicher. Ich nehme an, wir fahren zu Ihnen. Ich frage mich, wie es Ella dabei gehen wird. Es ist mir so peinlich, dass ich so schwachsinnig war.«
»Reden Sie keinen Blödsinn, gute Frau, Sie waren krank. Der Verstand ist nicht anders als der Körper, wenn er krank ist. Denken Sie an mich, als ich nach Hause kam. Ich sage Ihnen jedoch eines: Sie müssen sich etwas suchen, für das es sich jeden Tag aufzustehen lohnt, etwas, das Ihren Verstand in Anspruch nimmt. Celeste wird Ihnen helfen.«
»Ich bin im Moment keine gute Gesellschaft. Ich möchte einfach nur sehen, ob es Ella gutgeht. Ich muss wiedergutmachen, dass ich so lange weg war.«
»Das ist nur ein Tagesbesuch, um die Lage zu peilen. Erwarten Sie nicht zu viel, dann werden Sie auch nicht enttäuscht. Ich weiß, wovon ich rede. Sie wollen nicht mehr Zeit im Krankenhaus verbringen, als unbedingt notwendig ist, aber das ist eine eigene kleine Welt, und das Leben dort kann man nicht einfach übertragen. Es wird schon.«
Wenn sie sich dessen nur sicher sein könnte. Wie sollte sie eingestehen, dass sie Angst davor hatte, ihr Kind wiederzusehen, nach allem, was sie gesagt hatte? Wie hatte sie so grausam sein können, ihr zu sagen, sie sei nicht ihre Tochter? Ob Ella sie überhaupt sehen wollte? Sie schien sich bei den Foresters eingelebt zu haben, nach deren Worten zu urteilen. Plötzlich wurde ihr übel.
Ella wartete schon an der Tür vom Red House. »Du bist wieder da! Endlich! Komm, wir haben Teegebäck mit Marmelade gemacht, und ich habe den Tisch im Esszimmer gedeckt. Komm mit …«
Ein Junge stand weiter hinten in der Diele und hielt sich zurück, in seiner Uniform jeder Zoll ein Schuljunge. »Das ist Roddy.« Ella schob sie vor, damit sie ihn begrüßte. Er starrte sie an und wusste nicht, was er tun sollte, streckte ihr aber schließlich die Hand entgegen.
»Freut mich, dich kennenzulernen«, flüsterte May und wünschte, alle würden fortgehen und sie mit Ella allein lassen. Celeste konnte ihre Gedanken lesen und verscheuchte die anderen. »Wir setzen den Wasserkessel auf und lassen Ella und ihre Mutter im Wohnzimmer ein bisschen in Ruhe.«
May hatte noch nie in dem großen Raum gesessen. Er kam ihr formell und unterkühlt vor, und sie passten beide nicht hierhin. »Ich würde gern an die frische Luft«, sagte sie. »Komm, wir gehen am Kanal entlang, wie in alten Zeiten. Und ich hätte auch nichts dagegen, im Garten herumzustromern. Wie sieht’s denn da so aus?«
»Er ist jetzt unser Revier. Niemand macht viel darin. Ich kann dir zeigen, wo ein Amselnest ist«, schlug Ella vor und streckte eine Hand aus. May ergriff sie erleichtert, darum bemüht, nicht allzu fest zuzupacken, um ihre Nerven zu beruhigen.
»Du hast nicht untertrieben. Hier ist ja alles durcheinander. Haben sie denn keinen Gärtner mehr?« Dann fiel ihr ein, dass der alte Mann gestorben und sein Sohn im Krieg gefallen war.
Es war ein Sommernachmittag, und der blaue Himmel hob ihre Laune, während Ella über die Schule und Hazel plauderte, dass sie sich
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