Schiff der tausend Träume
Dunkeln auf irgendeinem Dach saß und nach Brandbomben Ausschau hielt, die auf Fabriken abgeworfen wurden. Morgens war sie dann aufgrund des Schlafmangels entsprechend müde. Nun aber drehte sich alles nur noch um Anthony. Sie eilte zum Stützpunkt, wann immer sich die Chance auf eine kurze Beurlaubung bot, und musste Anthony auf zugigen Bahnsteigen verabschieden, ohne zu wissen, wann und ob sie ihn je wiedersehen würde. Wie konnten zwei Liebende in einer so verrückten Welt überleben? Sie zehrte von seinen Briefen, seinen kostbaren dienstfreien Zeiten, und fürchtete beständig die Nachricht, dass er im Ausland eingesetzt würde. Heute hatte Celeste einen Brief von ihr erhalten, der alles änderte.
Anthonys Eltern haben mich sehr lieb empfangen. Das Haus ist übervoll mit Kindern, die evakuiert wurden, und es war kein Witz, als er damals sagte, Thorpe Cross sei ein Haufen alter Steine. An einer Seite des Hauses befindet sich die Ruine eines alten Klosters. Nachts ist es so kalt, dass ich alle meine Kleider übereinanderziehen muss, bevor ich mich auf die Matratze lege.
Anthony zersägt Holzklötze mit einigen der älteren Jungen. Sie laufen ihm hinterher, als wäre er der berühmte Comic-Pilot Biggles. Ich lasse ein paar der kleineren Kinder auf seinem alten Pony reiten. Die Landschaft hier im Norden ist wunderschön mit Steinmauern und fernen Hügeln, Weiden voller Schafe und einem weiten Himmel, aber aus dem Nordosten weht ein bitterkalter Wind.
Die Zugfahrt war ein Albtraum, im Gang eingezwängt zwischen Unmengen von lauten Soldaten! Als ich in York ausstieg, dachte ich, man hätte mich vergessen, und zwei meiner Reisegefährten warteten noch eine Weile mit mir in der Hoffnung, dass sie mich doch ausführen könnten. Was für eine Erleichterung, Anthony dann doch den Bahnsteig entlanglaufen zu sehen! Er hatte vor den Waggons der ersten Klasse gewartet – als könnte ich mir solchen Luxus leisten! Wir kommen aus verschiedenen Welten, und ich weiß, dass ich älter bin als er, aber wenn wir uns sehen, spielt nichts davon eine Rolle.
Wir haben uns erst vor sechs Wochen getroffen, aber ich merke, dass er jemand ist, den ich für den Rest meines Lebens kennenlernen möchte; all meine alten Vorurteile gegenüber Romantik sind verflogen. Er hat mich zu einem Tanzabend in seinem Stützpunkt mitgenommen und herumgewirbelt und dabei nicht ein Mal auf meine Füße getreten. So etwas habe ich zum ersten Mal erlebt. Die Kapelle hat ein sehr schönes Lied gespielt: »J’attendrais« – ich werde warten. Ich habe es andauernd im Kopf. Aber wir können nicht warten. Wenn das Leben nur normal wäre und die Dinge in normalem Tempo ablaufen könnten! Wie schrecklich, dass es einen Krieg brauchte, um uns zusammenzubringen.
Gestern sind wir zum Picknicken zu den Brimham Rocks gefahren. Wir sind herumgeklettert, haben uns hingesetzt und die Landschaft bewundert, so grün und friedlich, als wäre alles noch wie früher. Anthony sah mich an und sagte: »Wir werden bald heiraten, nicht wahr?«, so als würde er sagen: »Gib mir doch bitte den Zucker, Liebling.« Ich sah ihn an und sagte: »Natürlich.«
Bitte erzähl Selwyn noch nichts. Anthony findet, er sollte bei ihm um meine Hand anhalten, als wäre er mein Vater. Ich glaube, er wäre von dieser Geste sehr gerührt, oder was meinst Du? Bitte freu Dich für uns. Wir wollen jeden einzelnen Moment, den wir haben, zusammen verbringen, so eng beieinander, wie es nur geht. Was die Zukunft bringt, weiß keiner von uns.
Ich werde Selwyn fragen, ob ich der Heimwehr beitreten darf. Ich sehe nicht ein, dass Frauen nicht zu den Waffen greifen sollen, wenn der Feind kommt. Anthony hat mir Schießunterricht gegeben, und ich habe das Ziel zweimal getroffen. Ich will einfach mehr tun als unterrichten, auch wenn das sehr wichtig ist. Wenn ich darüber nachdenke, dass er jeden Tag der Gefahr ins Gesicht sieht, wie kann ich dann nicht in irgendeiner Weise mit ihm gleichziehen wollen?
Als Ella von ihrem nächsten Besuch in Thirsk mit einem antiken Goldring mit eingefasstem Rubin zurückkehrte, gab es kein Halten mehr. Sie sprühte nur so vor Plänen, und was konnte Celeste schon sagen? Die beiden jungen Leute kannten einander kaum, aber wer wollte bei ihrem verliebten Blick schon streiten? Sie erlebten eine wilde Romanze, nutzten jeden nur möglichen Moment, um zusammen zu sein. Sie wünschte ihnen alles Gute.
»Anthony kennt einen kleinen Ort auf dem Land, wohin wir unsere Hochzeitsreise
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