Schiff der tausend Träume
fahren?«
»Ja, warum denn nicht? Südliche Sonne und guter Wein«, meinte Archie schmunzelnd. »Denkst du, Ella wird mitfahren?«
»Clare wird keine Ruhe geben, bis sie einwilligt. Sie lebt so zurückgezogen und verbringt Stunden um Stunden in ihrer Werkstatt.«
»Das ist eben ihre Berufung, ihre Welt, aber Künstler und Italien sind eine gute Verbindung. Ich glaube, wir können sie überreden. Ich frage mich allerdings, was das Ganze ausgelöst hat. Roddy ist ja ganz wild darauf.«
Celeste ließ sich wieder auf ihr Kissen sinken. »Vielleicht Schuldgefühle, weil er den Krieg überlebt hat. Ich schätze, es gibt eine Menge Menschen, denen er zu Dank verpflichtet ist.« Sie seufzte. »Wir beide können ein Lied davon singen.«
Seit der Filmpremiere war diese schreckliche Nacht in ihren Träumen wieder aufgelebt; die grässlichen Schreie und dann die noch schlimmere Stille. Eines hatten sie falsch dargestellt: Die
Titanic
war nicht in einem Stück ins Meer versunken, sondern in zwei Teile zerbrochen – eine furchtbare Erinnerung.
Alle hatten sie irgendwie ein neues Leben begonnen, wie so viele andere es nach dem Krieg auch hatten schaffen müssen. Celeste hätte dort am Tisch am liebsten einfach erzählt, dass die beeindruckende Frau neben ihr tatsächlich eine Waise war, die das Schiffsunglück überlebt hatte und nicht wusste, wer ihre wahren Eltern waren. Doch sie würde das Versprechen, das sie Ella gegeben hatte, niemals brechen. Wie viele andere Geheimnisse und Träume der Passagiere würden wohl nie erzählt werden? Sie erschauerte, wenn sie daran dachte, dass sie sich ihren ersten Ehemann Grover in jener Nacht am liebsten tot gewünscht hatte. Nun war auch er verstorben, kurz nach dem Krieg. Sie empfand ihm gegenüber keine Bitterkeit mehr, nur Mitleid, dass er so unbetrauert aus dem Leben geschieden war.
Den Film zu sehen, war, wie auf eine weit entfernte Welt zu blicken – die Kleidung, die Manieren, die Eleganz einer Epoche, die nie mehr wiederkehren würde. Dafür hatte der erste große Krieg gesorgt. Celeste war Teil dieser Zeit. Sie war in der viktorianischen Ära geboren, hatte den Glanz des edwardianischen Zeitalters erlebt und dann dessen Zerstörung, und nun gelangte Großbritannien nach dem zweiten großen Krieg allmählich wieder zu Frieden und Wohlstand. Alles war im Fluss.
Und nun würden sie mit der Fähre über den Kanal fahren, einen Zug nach Mailand nehmen und für den Rest der Reise in die Toskana ein Auto mieten. Es wäre eine einmalige Chance, die ganze Familie zusammen zu erleben, noch dazu in einer Gegend, in der ein Teil dieser Familie ihre Wurzeln hatte. Sie war stolz, dass ihr Sohn ein so außergewöhnliches Unternehmen plante.
122
Sobald Clare das Kommando übernahm, gab es kein Wenn und Aber mehr. Sie konnte ein ganz schöner Tyrann sein, dachte Ella lächelnd. »Das wird meine große Reise vor dem Studium, Mummy«, verkündete sie aufgeregt. »Ich will Paris sehen, die Schweizer Alpen, Südfrankreich und dann natürlich Florenz. Du kannst mir die ganzen Galerien und Museen zeigen, und dann fahren wir weiter landeinwärts nach Arezzo und sehen uns die Fresken von Piero della Francesca an. Und jetzt, wo ich den Führerschein habe, können wir uns mit dem Fahren abwechseln. Allerdings stelle ich eine Bedingung. Du wirst dir ausnahmsweise einmal ordentliche Kleidung kaufen. Wenn du die ganze Zeit wie eine Landstreicherin neben mir herläufst, will ich lieber tot sein.«
Das war das Schlimme mit Töchtern: sie sagten einem ihre Meinung direkt ins Gesicht – nicht wie Roddy, der seine Mutter verehrte und sie wie Porzellan behandelte. Trotzdem wäre es gut, einmal wegzukommen. Nur Selwyn weigerte sich mitzufahren, was nicht weiter überraschte. Ella war schon gespannt darauf, Patti kennenzulernen, die den Hochzeitsfotos nach ein wunderhübsches irisches Mädchen war.
Celeste sagte, sie seien eine herzliche Familie und Roddy ein stolzer Vater. Wenn Ella einen Anflug von Eifersucht verspürte, so schob sie ihn beiseite. Jedem das Seine, und Anthonys kluge Tochter war alles, was sie sich wünschen konnte, auch wenn sie viel zu schnell groß wurde. Bald schon würde sie zur Universität gehen, und dann wäre Ella ganz allein – eine Aussicht, die auf einmal Unsicherheit und Angst in ihr hervorrief. Manchmal kam es ihr vor, als triebe sie ziellos vor sich hin, und dann wollte sie Clare unter keinen Umständen loslassen. Doch wenn sie anfing zu jammern und herumzunörgeln,
Weitere Kostenlose Bücher