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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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Gedanken überschlugen sich. Sie musste sich mit dem Kind so weit wie möglich vom Meer entfernen, von der Erinnerung an diese entsetzliche Nacht, irgendwohin, wo niemand sie kannte, wo sie von vorn anfangen und diese Lüge leben konnte.
    Sie lehnte sich über die Reling und schluchzte in den Wind.
Ich muss es tun und die Leere in meinem Herzen mit einem größeren Geheimnis füllen
. Für sie gab es jetzt eigentlich keine Hoffnung mehr. Eigentlich hatte sie nur ein Leben voller Leid vor sich, aber Ella war gewissermaßen ein Heilmittel. May konnte vor Schmerz in ihrer Brust kaum atmen, ertrank förmlich in einer Woge aus Erleichterung, noch am Leben zu sein, aber auch in Schuldgefühlen, Wut und Trauer über den Verlust. Ihr geliebter Mann, ihr süßes Kind waren tot.
    Aber sie lebte noch. Und Ella lebte. Sie musste sich von ihrem Kummer abwenden und für dieses kleine Kind in ihren Armen leben. Im purpurroten Licht zwischen Dunkelheit und Tageslicht starrte sie mit wildem Blick auf das Meer hinaus, verwirrt wie ein ängstliches Kind, das sieht, wie das Wasser gegen das Schiff schlägt, und ihre Augen suchten nach etwas, das nicht mehr da war.
    Plötzlich wurde ihr bewusst, dass dies genau das war, was sie aus ihrem Leben machen konnte: eine einsame Reise, auf der sie ein folgenschweres Geheimnis im Herzen tragen würde, erfüllt von Schmerz und Schuldgefühlen, nur mit diesem Würmchen in den Armen. So betäubt sie auch war, ein Teil ihres Verstandes war wach und plante bereits ihre Vorgehensweise.
Der Herr sei mit euch, meine Lieblinge. Ich hoffe, ihr versteht, dass hier eine Kleine ist, die mich jetzt braucht. Ihr werdet in meinem Herzen sein, so lange ich lebe, aber jetzt habe ich ein anderes Ziel.
Sie hatte überlebt, um sich dieses Kindes anzunehmen. Ella würde ihr Grund dafür sein weiterzuleben.

18
    Am späten Vormittag wurden die geretteten Passagiere erfasst.
    »Ihr Name?«, fragte der Offizier, schaute auf seiner Liste nach und vergewisserte sich, dass jeder Überlebende aufgeführt war.
    »Mary Smith, ich werde aber May genannt«, antwortete May zögernd und warf einen Blick auf Celeste. »Mein Mann, Joseph Smith, ist siebenundzwanzig, groß und dunkelhaarig. Er ist Zimmermann von Beruf.« Hoffnungsvoll schaute sie auf.
    Er wich ihrem Blick aus. »Das Kind?«
    »Ellen Smith … die kleine Ella, so nennen wir sie. Der Kapitän hat sie gerettet«, ergänzte sie beinahe stolz.
    »Sie hat recht, fragen Sie den Heizer auf unserem Rettungsboot. Er hat versucht, den Kapitän ins Boot zu ziehen … aber er hat sich geweigert«, fügte Celeste hinzu.
    »Verstehe. Und Sie sind …?«
    »Celestine Parkes, Mrs Grover Parkes aus Akron, Ohio. Ich war mit dieser Dame im selben Rettungsboot. Haben Sie eine Mrs Grant an Bord?«
    Der Offizier schüttelte den Kopf. »Wir haben noch nicht alle erfasst. Die
Carpathia
wird noch einmal über die Unglücksstelle fahren und dann nach New York zurückkehren, daher schlage ich vor, Sie begeben sich nach unten in den Speisesaal und holen sich dort Ihre Anweisungen«, befahl er. »In Kürze wird ein Gedenkgottesdienst stattfinden.«
    »Aber diese Dame braucht neue Kleidung, wie Sie sehen«, beharrte Celeste.
    »Die weiblichen Passagiere an Bord werden sich darum kümmern, wenn Sie unter Deck gehen. Mit einem Kleinkind sollte man sich nicht hier draußen aufhalten«, setzte er nach. »Alles, was Sie brauchen, ist da unten.«
    »Danke«, murmelte Celeste, während der Offizier zu einer weiteren Gruppe Überlebender hastete.
    May zögerte noch, hinunterzugehen. »Ich kann nicht da runter. Ich kann mich nicht bewegen.«
    »Ich werde Ihnen helfen. Geben Sie mir die kleine Ella. Sie ist bildhübsch«, sagte sie. »So dunkel … gleicht Ihnen überhaupt nicht.« Celeste verstummte und hoffte, May nicht gekränkt zu haben. Sie gehörte zu den jungen Frauen, die in einer Menge nie auffallen würden. Celeste sah ihr die Panik an, während sie schreckliche Erinnerungen durchlebte.
    »Joe war ein dunkler Typ. Es hieß, da sei Zigeunerblut mit im Spiel gewesen, als die Weber auf Wanderschaft waren«, erwiderte May, ohne sie anzusehen. Sie musste sich überwinden, den Namen ihres Mannes laut auszusprechen.
    »Tatsächlich? Die Augen sind dunkel wie Kohle. Mein Sohn Roderick ist so hell, dass seine Augen beinahe silbern sind. Er ist zu Hause bei seinem Vater in Sicherheit. Ich war in England, um an der Beerdigung meiner Mutter in Lichfield teilzunehmen.« Celeste verstummte. Für gewöhnlich

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