Schiff der tausend Träume
den Mund nicht aufmacht, bekommt nichts!«
Celeste trat näher heran. Die Frau glühte vor Empörung und verlieh den Gedanken Worte, die auch sie sich gemacht hatte. Überraschenderweise fand sie den Mut, auch etwas beizusteuern. »Sie haben ja so recht. Ich war auf einem Boot, in dem eine arme Frau aus dem Wasser gezogen wurde. Alles, was sie besitzt, ist untergegangen – ihr Mann, ihre Fahrkarten, ihr Geld. Ihr kleines Kind wurde gerettet, Gott sei Dank, aber sie ist mittellos.«
Mrs Brown wandte sich der neu hinzugetretenen Frau zu und lächelte. »Da haben wir es … Seien Sie uns willkommen. Ist dieser britische Akzent nicht wunderbar? Kommen Sie, schließen Sie sich uns an, Schwester. Wir brauchen Frauen wie Sie, die Farbe bekennen. Wer soll Kapitän Rostron und der Besatzung der
Carpathia
danken, wenn nicht wir? Wer soll dafür sorgen, dass die Immigranten Entschädigung erhalten, wenn nicht wir? Wenn wir an Land gehen, wird zunächst Chaos ausbrechen. Jeder wird jetzt helfen wollen, aber wenn die armen Seelen sich in alle Winde zerstreuen, muss jemand der Sache nachgehen und dafür sorgen, dass man ihren Ansprüchen gerecht wird.«
»Aber, Margaret, Schatz, ist es nicht zu früh, Verantwortung für solche Sachen zu übernehmen? Das wird die Regierung tun wollen«, sagte eine Passagierin der ersten Klasse, eingehüllt in Fuchspelz.
»Ethel, die Regierung ist ein Haufen von Eseln! Entschuldigen Sie meine Wortwahl. Frauen sind es, die sich kümmern. Das war schon immer so und wird auch so bleiben. Wir müssen dafür sorgen, dass niemand infolge dieser Katastrophe Hunger leidet. Kinder müssen eine anständige Erziehung erhalten. Wie viele Väter sind umgekommen, reiche und arme? Wie viele Kinder hat die
Titanic
zu Waisen gemacht? Wer soll die armen, erfrorenen Leichen der Armen begraben? Dafür ist das Mitgefühl einer Frau notwendig. Wohltätigkeit kann schrecklich kalt sein. Ich werde eine Liste herumreichen. Tragen Sie Ihre Namen ein, fügen Sie die Anschriften hinzu sowie das, was Sie für die Glücklosen unter uns tun und geben wollen.«
»Aber auch einige von uns haben alles verloren«, schluchzte eine Frau.
»Ich weiß, Schwester, aber der Herr hilft denen, die sich selbst helfen. Besser ist es, sich jetzt zu organisieren, bevor wir uns in unserem großen Land in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. Ihr müsst die Nachricht verbreiten, Schwestern! Erzählt eure Geschichte und macht Gelder locker. Etwas zu tun, ist besser, als unnütz Tränen zu vergießen.«
Celeste applaudierte spontan, begeistert von Margaret Browns mitreißenden Worten. Sie konnte nicht abseitsstehen und auf Distanz bleiben, zumal sie selbst gesehen hatte, wie schlecht es um die Kranken und Mittellosen an Bord stand. Einige waren so schockiert, dass sie wie Gespenster herumliefen. Wie sollten sie jemals für sich selbst einstehen?
Als sich die improvisierte Versammlung auflöste, kam Mrs Brown auf Celeste zu, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht. »Und wohin führt Ihr Weg, Schwester?«
»Zurück nach Akron, Ohio. Mir hat gefallen, was Sie gesagt haben. Ich würde gern helfen«, erwiderte Celeste.
»Wie ich hörte, sind ein paar Arme unterwegs nach Rubber Town, die ihre Männer verloren haben. Wir haben Walter Douglas von Quaker Oats Factory verloren. Seine Frau ist da drüben, sind Sie mit ihr bekannt?« Sie zeigte auf eine weinende Frau in einer Ecke. »Steht noch immer unter Schock, aber sie wird zu sich kommen. Ich möchte sicherstellen, dass wir uns angemessen bei der Besatzung bedanken, nicht nur mit einem Brief, sondern mit einem echten Beweis unserer Anerkennung«, fügte sie hinzu.
»Einem Orden vielleicht?«, schlug Celeste vor.
»Sie sagen es! Ein Orden für jedes Besatzungsmitglied, der ihnen feierlich überreicht wird … natürlich nicht jetzt. Das muss organisiert werden … wären Sie daran interessiert?« Margaret Brown fixierte sie mit einem Blick, der keine Ausreden duldete.
»Aber ich lebe in Ohio.«
»Na und? Ich draußen im Westen … Es gibt Züge. Wir werden noch ein Treffen anberaumen, bevor wir abfahren. Willkommen an Bord. Ihr Name …?«
»Mrs Grover Parkes.«
»Aber wer sind Sie selbst? Nur Vornamen, wenn’s nach mir geht …«
»Celestine Rose … Celeste …« Sie zauderte, nervös bei der Vorstellung, worauf sie sich da einließ.
»Was für ein himmlischer Name«, kicherte Margaret Brown, während sie Celeste durch den Raum führte und mit anderen Unterstützerinnen plauderte.
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