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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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abschlagen konnte, also sparte er sich alles vom Munde ab, bis er das Fahrgeld zusammen und eine Unterkunft gefunden hatte. Jetzt endlich wurde sein Traum wahr.
    Für seine schöne Frau war nichts gut genug, und er umklammerte sein Kruzifix, bekreuzigte sich und betete zu den Heiligen, sie mögen sich in diesem neuen Leben einrichten. In den Hintergassen hatte er so viel Elend gesehen, Witwen und Kinder, die Lumpen sammelten und in Abstellkammern in Treppenhäusern hausten.
    Wenn er tagsüber acht Stockwerke hoch an Neubauten arbeitete, konnte er auf die Dächer schauen, auf denen Familien dichtgedrängt in Hütten lebten, in den heißen Nächten draußen auf dem Dach schliefen, weil sie in den dampfenden Straßen der Innenstadt keine Luft bekamen.
    Wie viele Hoffnungen starben genau dort, wenn etwa Typhus ausbrach? Er wollte seine Familie nicht in ein solches Elend bringen, nicht nach der schönen toskanischen Landschaft, an die sie gewöhnt waren. Er wollte für sie nur das Beste. Zögernd legte er seinen Pinsel ab und eilte hinaus, um seinen Arbeitstag anzutreten.
    Später, als Angelo hoch über den Straßen von Manhattan arbeitete, ging er in Gedanken immer wieder alle Vorbereitungen durch, die noch zu treffen waren. Ein richtiges Familienfest sollte es geben. Anna und ihre Töchter würden sich darum kümmern, aber er musste zum Lebensmittelladen, um den Vorratsschrank aufzufüllen.
    »Angelo! Pass auf!«, vernahm er eine warnende Stimme. Seine Konzentration ließ gefährlich nach, als er jemanden laut schreiend durch die Mulberry Street laufen sah. Das Wort »
Titanico
« schwebte zu ihm herauf, Frauen in Schürzen und Kitteln sammelten sich an Mulberry Bend, Männer blätterten hektisch in Zeitungen.
    »Was ist da los?«, rief er seinem Arbeitskollegen zu. Rocco zuckte mit den Schultern, doch ein anderer aus seinem Trupp brüllte zu ihnen herüber: »Es heißt, ein Schiff ist untergegangen … die
Titanic
ist gesunken …«
    Angelo lief es eiskalt über den Rücken, er warf seinen Werkzeugbeutel über die Schulter, rutschte am Gerüst hinunter und rannte der Menschenmenge nach. Das Blut pulsierte in seinen Schläfen, Angstschweiß brach ihm aus. An der Ecke sah er die Schlagzeile auf einer Plakatwand und sank vor Erleichterung auf die Knie. »
TITANIC
GESUNKEN ; ALLE GERETTET !« Wenn es in der Zeitung stand, musste es wahr sein. Zeitungen logen nicht.
    Trotzdem rannte Angelo weiter und folgte der neugierigen Menge zu der Schlange, die sich vor den Büros der White Star Line am Broadway gebildet hatte und bis zum Bowling Green Park auf der gegenüberliegenden Seite reichte. Alle lechzten nach Neuigkeiten, ganz gleich welcher Art, doch die Gerüchte, die herumgingen, spendeten keinen Trost, und Angelos Englischkenntnisse waren noch nicht gut genug, um zu begreifen, was gesagt wurde.
    »
Per favore
… bitte, welche Nachrichten?«, wiederholte er, die Mütze in der Hand, und versuchte, nicht zu zittern. Gesichter, die zunächst erleichtert ausgesehen hatten, tauchten später voller Anspannung wieder auf. »
Molti mori
… viele Tote. Sie ist untergegangen, glauben wir, aber das Rettungsschiff läuft heute Abend ein. Es besteht noch Hoffnung …«
    Er wagte nicht, sich von der Schlange zu entfernen für den Fall, dass neue Nachrichten kamen. Schließlich wurde eine Liste von Überlebenden ans Brett gehängt. Allmählich wurde es dunkel, und die Nachricht über die unerwartete Rückkehr der
Carpathia
machte die Runde. Nur Verwandte von Passagieren konnten hinunter zum Hafen, um ihre Lieben in Empfang zu nehmen.
    »
Per favore
, was ich mache?«, fragte er alle, die ihm zuhören wollten. Warte, bete, bleib ruhig und hoffe, sagte ihm seine innere Stimme. Aber wie sollte er die Ruhe bewahren, wenn seine Frau und sein Kind auf diesem Schiff waren?
    Lange vor Einbruch der Dunkelheit versammelten sich Menschen zu Tausenden an Pier 54 und warteten auf die Tragödie, die sich vor ihren Augen abspielen würde, Schaulustige wollten einen Platz in der ersten Reihe. Die Polizei hatte Barrieren vorbereitet. Nur wer Verwandte an Bord hatte, bekam einen Zettel mit der Erlaubnis, nahe am Anleger zu warten. Im Regen frierend, umklammerte Angelo sein gelbes Ticket und wurde mit den anderen zu den Kais im Hafen geführt. Die Straßen, auf denen sich bereits Zuschauer drängten, neugierig und gespannt auf die Rückkehr des Schiffes, füllten sich mit noch mehr Menschen. Arm und Reich standen Schulter an Schulter, alle begierig

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