Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
Vom Netzwerk:
Verzeihen Sie mir, wenn ich zudringlich bin, aber ich spüre Ihre Reserviertheit, und die ist Ihrer Natur eigentlich fremd. Keine Bange, ich habe nicht die Absicht zu bohren. Wieder mal falsche Zeit, falscher Ort, fürchte ich …«
    »Dann wollen wir es dabei belassen«, unterbrach sie ihn und zog sich vor der magnetischen Kraft zurück, die sie immer stärker spürte und die sie zueinander hinzog. »Gute Nacht, Archie. Mr McAdam …«
    »Gute Nacht, aber nicht Lebwohl, Celeste.« Er zog sich zurück und überließ es ihr, im Mondlicht unter den Sternen zu ergründen, was er meinte.

59
    Am letzten Augustsonntag strömten fünfzig ausgelassene Kinder aus dem Bahnhof von Colwyn Bay in North Wales. Sie hatten Schläger und Bälle dabei, Taschen mit Badezeug, und schwenkten ihre Strohhüte in der Sonne. In Mays Augen waren sie wie ein Schwarm weißer Schmetterlinge, die sich aufgeregt über den Strand verteilten. Sie war so erschöpft von ihrer vielen Näherei, von Schlaflosigkeit, von der Sorge, ob sie überhaupt hierherkommen sollte. Aber sie wollte Ella im Auge behalten für alle Fälle, sollte sie noch mehr Lügengeschichten auftischen.
    »Ich will keinen Unsinn mehr über Kapitän Scott hören, oder sonst irgendwelche Flunkereien«, hatte sie ihre Tochter gewarnt. »Dein Vater war Joseph Smith, ein Zimmermann aus Edgeworth.«
    »Wie Joseph von Nazareth«, sagte Ella.
    »Da haben wir es wieder. Spiel hier nicht die Neunmalkluge, hör auf das, was ich dir sage.«
    »Du ziehst dein schwarzes Krähenkleid nicht an, oder? Du hast es versprochen«, fügte Ella hinzu. »Die Mum meiner Freundin Hazel hat ein neues Kleid. Zieh deinen neuen Rock an.«
    Für May war die Erkenntnis ein Schock, dass ein so junges Mädchen wie Ella Frauen miteinander verglich. May hatte Mrs Perrings mehrfach vor dem Schultor getroffen. Hazel war Ellas beste Freundin in der Schule. Sie schienen ganz vernünftig zu sein.
    Dolly Perrings strickte während der Zugfahrt und plauderte über dies und das, auch über ihren neuen Freund George, einen Soldaten aus den Whittington Barracks, der immer schick gekleidet sei, saubere Fingernägel und einen Schnurrbart habe. Mrs Perrings trug ein weißes, hellrosa gemustertes Sommerkleid, ihre Haare wehten und hüpften um ihr Gesicht. Kein Wunder, dass Ella die eigene Mutter für farblos hielt.
    Diese Worte hatten eine tiefere Wunde gerissen, als das Kind sich überhaupt vorstellen konnte. May dachte an Dohlen, schwarz wie Krähen. Sie stahlen glänzende Sachen, und was war sie denn anderes als eine Diebin? Vielleicht hatte sie diesen Namen verdient. Sie war so überdreht, innerlich angespannt wie eine Feder, erschöpft, ausgelaugt, als hockte sie am Rande einer steilen Klippe. Ein Windstoß und sie würde hinabstürzen. Das Selbstvertrauen, das sie nach der Auseinandersetzung mit Florrie gewonnen hatte, war der Erschöpfung gewichen. Alles war mühsam, selbst an diesem strahlenden Sommertag. Als sie den Seetang roch, die salzige Brise, wurde ihr so übel, dass sie würgen musste. Das Meer. Wieso hatte sie sich nur überreden lassen, ausgerechnet mit ans Meer zu fahren? Wahnsinn.
    Sie blieb hinter den anderen Begleiterinnen zurück. »Kommen Sie, Mrs Smith … May. Wir wollen sehen, ob wir etwas Tee bekommen und auf der Promenade spazieren gehen können, um ein bisschen Luft zu schnappen, während Miss Parry und die Lehrerinnen mit den Mädchen die Naturkundewanderung unternehmen. Für die ist noch Unterrichtszeit, aber nicht für uns.«
    May hatte das Gefühl, als gehörten ihre Füße nicht zu ihrem Körper. Sie ließ sich mit den anderen treiben, und sie fanden eine kleine Teestube, doch May schmeckte nur warmes Wasser im Mund. Beim Anblick des wogenden Meeres fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe.
    »Was für ein herrlicher Anblick«, sagte Mrs Perrings. »Wir können von hier aus zusehen, wie die Flut aufläuft. Das ist wie ein silberner Teich da draußen, so glatt und seidig … sehen Sie nur … wie ein Mühlenteich.« Sie plapperte weiter, ohne zu bemerken, dass May mit dem Rücken zum Wasser saß.
    »Das Meer hat ein anderes Gesicht, ein grausames«, murmelte sie plötzlich. »Es kann einen in trügerische Sicherheit wiegen und in seinen tosenden Wellen ausspeien.«
    »Ach ja, tut mir leid, meine Liebe, Hazel hat mir erzählt, dass Ihr Mann auf See umgekommen ist. Schrecklich, so jung schon verwitwet zu sein. Als ich das Telegramm bekam, dass Philip in Gallipoli getötet worden war, nun, ich

Weitere Kostenlose Bücher