Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
Bootsunfall? Du mußt was haben. Anscheinend bist du jedesmal zu Interviews für die verdammten Schiffsmeldungen fort, wenn ein Autounfall reinkommt. Oder vielleicht eine Spazierfahrt mit Mrs. Prowse? Quoyle, ist das so? Du bist häufiger außerhalb des Büros als Jack.«
    »Ich hab’ Harold Nightingale«, sagte Quoyle. »Ein Foto von Harold auf dem leeren Pier. Der Artikel ist in deinem Computer. Schlagzeile: Alles Ade.«
    ALLES ADE
    Es gibt Tage, da lohnt sich das Aufstehen einfach nicht. Keiner weiß das besser als Harold Nightingale aus Port Anguish. Für die Fischer in Port Anguish war es eine katastrophale Saison. In der ganzen Zeit hat Harold Nightingale genau neun Kabeljaue gefangen. »Vor zwei Jahren«, sagte er, »fingen wir draußen vor den Bumpy Banks über hundertfünfzigtausend Pfund. Dieses Jahr – weniger als keins. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wäsche annehmen vielleicht.« Um die neun Kabeljaue zu fangen, gab Mr. Nightingale 423Dollar für Sprit, 2150 Dollar für Lizenzgebühren, 4670 Dollar für Bootsreparatur und -instandsetzung, 1200 Dollar für neue Netze aus. Und was die Sache noch schlimmer macht, ist, daß er in seinen 31 Jahren als Fischer den schlimmsten Befall von Seepusteln erlebte. »Die Handgelenke geschwollen bis zu den Ellbogen«, sagte er.
    Letzten Freitag hatte Harold Nightingale es satt. Er sagte seiner Frau, er würde seine Netze zum letztenmal heraufholen. Er setzte eine Anzeige für sein Boot und seine Ausrüstung auf und bat sie, sie im Gammy Bird aufzugeben. Er und seine vierköpfige Crew verbrachten den Morgen damit, die Netze hochzuziehen (alle waren leer); sie waren auf dem Nachhauseweg, als der Wind leicht zunahm. Eine gemäßigte Dünung kam auf, und am Heck brachen sich mehrere Wellen. Kurz vor der Einfahrt nach Port Anguish kenterte das Boot nach Steuerbord und kam nicht wieder hoch. Kapitän Nightingale und der Crew gelang es, in die Dorys zu klettern und das sinkende Boot zu verlassen. Das Schiff verschwand unter den Wellen, und sie steuerten die Küste an. Das Boot war nicht versichert. »Das schlimmste ist, daß sie unter dem Gewicht von leeren Netzen sank. Es hätte mich ein wenig getröstet, wenn es eine Ladung Fisch gewesen wäre.«
    Zu Hause angekommen, nahm Mr. Nightingale seine Verkaufsanzeige zurück.
     
    »Haha«, sagte Tert Card. »Ich weiß noch, wie er wegen der Anzeige anrief.«
    Quoyle lümmelte sich an seinen Schreibtisch, dachte an den alten Mann, der im Regen stand und ihm erzählte, wie alles gewesen war. An Harold Nightingale, dessen Lebenswerk wie ein dämlicher Witz endete.
    Er nahm Partridges Brief aus der Tasche und las ihn noch einmal. Wie ein Jo-Jo jeden Tag die Küste rauf und runter, Möbel für das neue Haus. Mercalia hatte Partridge zum Geburtstag einen Camcorder geschenkt. Sie hatten ein Schwimmbekken und etwas, das sich »Spitzen-Chefkoch-Gasgrill« nannte – kostete zwei Tausender. Er beschäftigte sich ernsthaft mit Weinproben, hatte einen Weinkeller. Hatte auf einer Party Spike Lee kennengelernt. Mercalia lernte fliegen. Er hatte ihr eine Pilotenjacke aus Leder und einen weißen Seidenschal gekauft. Zum Scherz. Hatte jemand gefunden, der ihm wieder einen Lehmofen in den Hinterhof baute. Fleischräucherschacht, Lachs aus dem Columbia River. In der Küche ein Wasserspender mit drei verschiedenen Temperaturen. Sie hatten sich eine tolle Anlage mit Digitalanzeige zugelegt, die in verschiedenen Zimmern und in unterschiedlicher Lautstärke gleichzeitig Videolaserdiscs und CDs abspielen konnte. Wann würde Quoyle rüberfliegen und sie besuchen? Sei jederzeit willkommen. Wirklich jederzeit.
    Quoyle faltete den Brief wieder zusammen, steckte ihn in seine Tasche. Die Bucht war ein mit Papierschiffchen gesprenkeltes Aluminiumtablett. Wie kurz die Tage wurden. Er schaute auf seine Uhr, erstaunt, wie die Monate aus ihr herausgefallen waren.
    »Nutbeem. Hast du Lust, auf einen Kalmarburger zu Skipper Will zu gehen?«
    »Unbedingt. Laß mich den Absatz fertigschreiben, dann komm’ ich mit.«
    »Bringt mir eine Portion Fisch und Pommes mit.« Tert Card zog zusammengefaltete Scheine aus seiner Nylonhose.
    Aber Billy nahm den Deckel mit Garfield-Comics von seiner Essensdose, betrachtete das Einmachglas mit Dorscheintopf, eine Scheibe Brot und Margarine. Richtete sich das Essen her und dachte, besser so.
    Quoyle und Nutbeem beugten sich über einen Tisch hinten im Lokal. Es stank nach heißem Öl und abgestandenem Tee. Nutbeem goß sich

Weitere Kostenlose Bücher