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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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brodelte unter Waveys trockener Haut ein Hang zum Aufruhr. Lila Stühle, Knüpfteppiche in Scharlachrot und Blau, bemalte Küchen-schränke und Streifen an den Türrahmen. So daß sie, wenn sie inmitten all der Farbe stand, wie eine ausradierte menschliche, weibliche Form wirkte.
    Sunshine gefiel ein Schrank mit Glastüren besonders. Hinter dem Glas eine weiße Terrine, eine Reihe von Tellern mit schwimmenden Fischen um den Rand, vier grüne Weingläser. Auf jede der unteren Türen hatte Wavey ein Bild gemalt: ihr eigenes Haus mit dem bemalten Zaun; den Hof ihres Vaters mit den Holzfiguren. Sunshine öffnete die Vatertür. Sie quietschte pfeifend. Sunshine mußte lachen.

28
    Der Schlittschuhläufer-Kettengriff
    Um jemanden zu retten, der im Eis eingebrochen ist, werden die Finger des Retters und die des Opfers gegenläufig ineinander verhakt.
    »Die Fingernägel sollten kurz sein.«
     
    DAS ASHLEY-BUCH DER KNOTEN

    Die Tante draußen, um sich umzusehen. Sie hatte Luft schnappen, von Quoyle und den Kindern im Haus fortkommen wollen. Fort von Sunshines Summen, ihren klappernden Schuhen und bohrenden Fragen. Der Kassette von Nutbeem, die Bunny endlos laufen ließ, dabei die Batterien verbrauchte. Die letzten Oktobertage, ein Gewehrgeknatter entlang der Küste, weil die Lummenschwärme vor dem Eis nach Süden flohen. Im Osten sammelten sich vor dem Festlandsockel die Steinbutte. Erschöpfte Lachse lagen tief in den Flußbecken unter dem verkrusteten Eis oder trieben ins Meer.
    Sie kam an einen kleinen Teich. Erinnerte sich an ihn, dieses Wasseroval, umgeben von Heidelbeergestrüpp und Lorbeer, Frauen und Kinder, die über das herbstliche Sumpfland zogen, Schellbeeren, die im schräg einfallenden Licht wie Honigtropfen leuchteten. Löchrige Stiefel, Vögel, die aufflatterten, wenn die Beerenpflücker näher kamen. Ihre Mutter hatte die Moore immer gemocht, trotz der Stechmücken. Ein Stück höher liegenden Boden finden, ein wenig unter den rasenden Wolken schlafen. »Ach«, sagte sie, »ich könnte den Rest meines Lebens verschlafen.« Wieviel sie verschlafen hatte – unwissend! Und war in einem Krankenhausbett in Brooklyn an Lungenentzündung gestorben, im Glauben, sie sei auf dem Ödland unter nördlicher Sonne.
    Die Tante erlaubte sich die Erinnerung an einen Oktober: der Teich zugefroren, das Eis so farblos wie eine Bügeleisen-fläche, die Wolken in dünnen Lagen wie graue Stifte in einer Schachtel. Schwarze Krähenbeeren mit Eishäuten. Der Wind zusammengefallen. Tiefste Stille, der Dampf ihres Atems trieb aus ihrem Mund. Das ferne Stöhnen der Wellen. Kein toter Grashalm zitterte, keine Möwe oder Lumme flog. Eine perlgraue Landschaft. Sie war elf oder zwölf. Blaue Strickstrümpfe, das umgenähte Kleid ihrer Mutter. Ein eingelaufener Wollmantel, englisch, unter den Armen zu eng, ein abgelegtes Stück, auf dem Pfingstbasar abgezweigt. Sie hatte ein riesiges Paar Männerhockeyschlittschuhe, zog sie über ihre Schuhe, band sie ganz fest. Ein Schnürsenkel riß. Sie machte einen Altweiberknoten, steckte die Metallspitze durch die Öse, band verlorene Knoten.
    Die schrägen weißen Spuren der ersten Striche, dann Schlingen und Schleifen wie beim Abspulen eines Fadens. Im windstillen Zwielicht sauste sie durch die Kälte. Das Geräusch des Atmens, das Schlittschuhkratzen. Allein auf dem vollkommenen Eis am roten Nachmittag, die Wolken wie ein Dickicht aus schwankenden, blutenden Zweigen. Allein. Und ein Brötchen mit Schweinefleisch in der Tasche. Blickte auf und sah, er war da. Er kam aufs Eis, knöpfte seine Hose auf, glitt behutsam auf den Sohlen seiner Fischerstiefel. Und obwohl sie nirgendwohin als immer nur im Kreis herum fahren konnte, obwohl sie wußte, daß er sie früher oder später erwischen würde, fuhr sie davon, wich seinen Sätzen lange Zeit aus. Vielleicht zehn Minuten lang. Eine lange Zeit.
    Jetzt blieb sie stehen und betrachtete den Teich. Klein, uninteressant. Kein Grund, hinunterzugehen. Der Himmel war nicht rot, sondern im Südwesten fast schwarz. Stürme im Anzug. Schon bald würde es auf den Glasscheiben Frost geben, Rauhreif auf den Fensterbrettern, den Reifrand, der sich auf der Decke sammelte, wo der Atem kondensierte, das Holz des Hauses würde sich in den arktischen Nächten mit knallendem Quietschen und Krachen zusammenziehen. Wie es war – einstmals. Dann, das Rutschen von Füßen, heißer Atem auf ihrem Gesicht. Und draußen der tosende Wind in den Trossen, der den Kamin hinabraste

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