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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Sein Kopf wurde beim Gehen etwas klarer. Er wußte nicht, wohin er ging, kletterte aber immer weiter. Der Hügel über der Stadt. Die gleiche Strecke, die er jeden Tag zur Arbeit nahm. Er sah die Hafenlichter unten, ein großes Schiff, das langsam durch die Bucht fuhr. Der Leuchtturm auf der Landspitze ließ seinen Strahl übers Meer gleiten. Quoyle ging weiter. Er hatte das Gefühl, bis nach Australien gehen zu können. Jetzt den langen Hügel hinab, am dunklen Büro des Gammy Bird vorbei. Kaltes Fernseherlicht im Haus der Buggits; die Mrs. allein mit ihren Schneewehen aus Häkelspitzen. Blickte über die Bucht, wo sich Quoyle’s Point in der trüben Nacht verlor. Der Mond läuterte die Landmasse, warf einen funkelnden Streifen aufs Wasser.
    Er war vor ihrem Küchenfenster. Drinnen eine verzerrte, schrille Musik. Er kniete sich ans Fenster. Die harte Beleuchtung von dem Neonring an der Decke. Ein Klappern. Er schaute hinein und sah Wavey auf einem Küchenstuhl, die Beine breit, ihr Rock eine Hängematte für das rote Akkordeon auf ihrem Schoß. Ihr Fuß ging auf und ab, klopfte den Takt in einem Rhythmus, der in seinem steten Gleichmaß traurig war. Und auf der leeren Linoleumbühne vor dem Herd Herry, der hopste und tanzte, das Pfannkuchengesicht von einem Grinsen höchster Konzentration gespalten.
    Quoyle kroch zur Straße hinaus. Der Widerschein des Mondes bohrte sich in das flache Wasser wie ein Loch ins Meer, wie der Eisschacht, in dem der haarige Teufel von Tert Cards Vater seine Pfannen und Töpfe schrubbte. Die bemalten Holz-hunde im Hof von Waveys Vater hielten Wacht, ihre Hals-bänder aus Flaschendeckeln fingen das Licht ein, als würden sie krampfhaft schlucken. Er ging wieder los, Richtung Killick-Claw, wo er sich im Gasthof ein Zimmer mieten würde. Beetys und Dennis’ Heim, sein Feldbett im Keller hatte er vergessen.

33
    Der Onkel
    »Magische Netze, Schlingen und Knoten wurden und werden in manchen Fällen vermutlich immer noch als tödliche Waffen benutzt.«
     
    QUIPUS UND HEXENKNOTEN

    Um zehn Uhr morgens klopfte das Zimmermädchen an Quoyles Tür, steckte ihren Kopf herein und rief: »Will das Zimmer machen, mein Guter.«
    »Warten Sie«, sagte Quoyle. »Halbe Stunde.« Völlig versoffene Stimme.
    »Waren wohl auf der Party, wo sie das Boot versenkt haben. Harriet sagt, die Küche will das Frühstück abräumen, damit sie mit dem Mittagessen anfangen können. Soll ich ihr sagen, daß sie Ihnen ein bißchen Eier und Tee aufhebt?«
    Aber Quoyle lag vor der Kloschüssel auf den Knien, übergab sich, litt, voller Selbsthaß. Hörte ihre Stimme wie eine Wespe in einem Glas. Schließlich konnte er die Dusche aufdrehen, sich unter die heißen Nadeln stellen, das Gesicht nah am Brausekopf, spüren, wie die Kopfschmerzen ein wenig wichen. Seine Beine taten weh.
    Nach dem Dampf war das Zimmer eisig. Er zog sich an, das Gewebe wie knitterndes Metall. Als er sich zum Schuhzubinden bückte, schossen ihm die Kopfschmerzen wieder in die Augen, und sein Magen zog sich zusammen.
    Der Himmel vor dem Fenster war schmutzig, auf der Straße wirbelte Sand. Ein paar Lastwagen fuhren vorbei, aus Auspuffrohren ringelten sich Abgase. Kälte. Sein Jackenärmel war von der Schulter bis zum Handgelenk zerrissen.
    Unten grinste Harriet.
    »Muß ja ’ne Party gewesen sein«, sagte sie.
    Quoyle nickte.
    »Sie sollten ’ne Tasse Tee trinken. Eine schöne Tasse heißen Tee.«
    »Ich mach’ mir eine draußen im Haus«, sagte er. »Ich muß heute morgen raus und ein paar Sachen holen.« Sunshines Stiefel, die extra Kinderhandschuhe, seine restlichen Hemden, ein Buch aus der Bibliothek, das seit Wochen fällig war.
    Ein paar Werkzeuge. Sollte am Nachmittag bei Alvin Yark sein. Er erinnerte sich, daß Nutbeems Wohnwagen auseinandergenommen worden war. Angenommen, sie konnten nicht mehr darin wohnen? Versuchte, Nutbeem anzurufen, fummelte, um die Münzen in den Schlitz zu bekommen. Keine Reaktion.
    »Heute abend soll’s Schnee geben«, sagte Harriet und raschelte mit ihrer Zeitung. »Was gibt’s Neues von Agnis? Gefällt’s ihr in St. John’s? Dawn gefällt’s, das weiß ich. Sie ist die Jüngste von meinem Vetter Arky. Amüsiert sich wahrscheinlich bestens. Sagt, daß sie nie wieder hierher zurückkommt.«
    »Okay, wahrscheinlich«, sagte Quoyle. Zitternd.
    Auf der Straße fand er sein Auto nicht. Zwang seine Gedanken zurück zu Nutbeems Party, erinnerte sich, Meilen über Meilen zu Waveys Haus hinausgegangen zu sein. Durchs

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