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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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ein roter Stern aus einer Plastiktüte.
    Als er näher kam, rannten die Schafe mit klingelnden Glöckchen vor ihm weg. Kein Hund. Er klopfte. Stille. Aber er wußte, daß der alte Mann drinnen war.
    Er rief: Mr. Quoyle, Mr. Quoyle, hatte das Gefühl, sich selbst zu rufen. Und keine Antwort.
    Hob den Riegel an und ging hinein. Ein Durcheinander aus Feuerholz und Plunder, Gestank. Der Hund knurrte. Er entdeckte ihn in der Decke neben dem Herd, einen weißen Hund mit verfilzten Augen. In der anderen Ecke rührte sich ein Haufen Lumpen, und der alte Mann setzte sich auf.
    Trotz des trüben Lichts, trotz der Entstellung durch das Leichenalter, sah Quoyle Ähnlichkeiten. Das unbändige Haar der Tante; der lippenlose Mund seines Vaters; die Familien-augen, eingesunken unter Brauen, so dick wie Roßhaar; die Haltung seines Bruders. Und der Blick auf sein, Quoyles, monströses Kinn, das hier ein etwas kleinerer, knochiger Vorsprung war, gedämpft von weißen Stoppeln.
    In dem Mann vor ihm, in der Hütte, vollgestopft mit der Armut aus einem anderen Jahrhundert, sah Quoyle, woraus er entsprossen war. Denn der alte Mann war wahnsinnig, die Zahnräder im Getriebe seines Verstandes waren schon seit langer Zeit nur noch nutzlos klappernde Scheiben, gesäumt von den Stummeln abgebrochener Zacken. Wahnsinnig vor Einsamkeit oder Lieblosigkeit oder wegen irgendeiner genetischen, chemischen Verirrung oder des alles überflutenden Gefühls von Verrat, an dem alle Einsiedler leiden. Schlingen einer Angelschnur unter den Füßen, das verfilzte Knäuel festgestampft wie der übrige Müll, ein Tohuwabohu aus Splittern, Sand, Regen, Meeresfeuchte, Schlamm, Tang, Wollfetzen, abgenagten Schafsrippen, Fichtennadeln, Fischschuppen und -gräten, geplatzten Luftblasen, Robbeninnereien, Tintenfisch-knorpeln, kaputtem Glas, zerrissenen Kleidern, Hundehaaren, Nagelschnipseln, Rinde und Blut.
    Quoyle zog die verknoteten Fäden aus seiner Tasche, ließ sie auf den Boden fallen. Der Mann stürzte vor. Mit abgestoßenen Fingern schnappte er sich die Fäden vom Boden, warf sie in den Herd.
    »Jetzt gehn die Knoten nie mehr auf! Sin’ durchs Feuer verewigt! «
    Quoyle konnte ihn nicht anschreien, nicht einmal wegen Hexenknoten auf den Wegen seiner Töchter, nicht einmal wegen des weißen Hundes, der Bunny geängstigt hatte. Sagte: »Das brauchen Sie nicht zu machen.« Was nichts hieß. Und er ging.
     
    Wieder die ausgewaschene Straße hinauf, in Gedanken bei dem alten Quoyle, seinem erbärmlichen Zauber aus Tierteilen und Zwirn. Lebte zweifellos nach den Mondphasen, machte Zeichen auf Blätter, sah Blutregen und schwarzen Schnee von der Bucht her wehen, glaubte, daß die Gänse in den Sümpfen von Manitoba Winterschlaf hielten. Dessen letzte kümmerliche Verteidigung gegen eingebildete Feinde darin bestand, in eine Schnur Knoten zu knüpfen.
     
    Quoyle bückte sich durch die Tür zur Werkstatt. Alvin Yark im Dämmerlicht, ein geschwungenes Stück Holz mit einem Schabhobel glättend.
    »Sieht nach ’nem guten Stamm aus«, dröhnte Yark. »Geh’ ich im Wald rum und seh’ die Fichte und sag’ mir, das is’ ja ’n hübscher, kleiner Stamm für Quoyle. Seh’ doch, daß er ’nen schönen Schwung hat, gibt ’n schlankes Boot, nich’ zu schlank, weißte. Hab’ vor circa zehn Jahren ein Boot für Noah Day gebaut, Stamm sah als Baum hübsch aus, aber zu grade, weißte, hatte nich’ genug Schwung. Wurde zu breit an Bug und Heck. Sagt Noah zu mir: ›Wenn ich ’n andres Boot hätt’, würd’ ich das verkaufen.«
    Quoyle nickte, legte seine Hand ans Kinn. VERKATERTER MANN LAUSCHT PLANVARIABLEN EINES BOOTSBAUERS.
    »Das gibt die verschiednen Boote, weißte. Jeder Baum wächst ’n bißchen anders, so daß bei jedem Boot, das du baust, weißte, der Überhang vom Vordersteven und der Überhang vom Heck auch ’n bißchen anders is’, und daher kommt’s, daß du verschiedene Rümpfe hast. Jeder is’ anders, wie Männer und Frauen, manche gut, manche nich’ so gut.« Hatte das bei einer Predigt gehört und sich angeeignet. Mit heiserer, tiefer Stimme fing er zu singen an: »Ach, die Gandy Goose , die is’ bald leck ... «
    Quoyle zwischen den Querspanten, bis zu den Knöcheln in Hobelspänen. Kälte. Alvin Yark trug Handschuhe, der Reißverschluß seiner Jacke blitzte.
    An die Wände gelehnt standen die Außenplanken.
    »Das sind die, die ich vorige Woche zugeschnitten hab’. Ich schneid’ sie nich’ alle gleich, weißte«, erklärte er Quoyle.

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