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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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runter... rote Augen. Sagt zu meinem Vater: › Dich hol’ ich auch noch...wenn ich meine Töpfe und Pfannen geschrubbt hab’.‹ Vater… rannte vierzig Meilen.«
    »Meine Frau«, brüllte Quoyle, »ist tot.«
    »Das weiß ich«, sagte Tert Card. »Das ist keine Neuigkeit.« Gegen zehn war Quoyle betrunken. Die Menge der Gäste war enorm, so dicht zusammengedrängt, daß Nutbeem sich weder durch den Gang noch zur Tür zwängen konnte und auf die restlichen Kartoffelchips in dem blauen Faß urinierte und damit ein Exempel statuierte. Die ohrenbetäubende Musik beförderte den Wahnsinn. Draußen zwei Schlägereien, und der dunkelrot angelaufene Diddy Shovel warf Nutbeems Fahrrad in die Bucht. Der starke Mann sah sich um, verlangte nach einem Balken, an dem er sich mit dem kleinen Finger hochziehen konnte. Dennis tauchte auf, erhitzt und taumelnd, eine Rumflasche in der Hand. Ein Mann mit grimmigem Gesicht, den Quoyle nie gesehen hatte, zog seine Hose aus und tanzte im Schlamm. Ein schrecklicher Ruck, als zwanzig grölende Männer ein Ende des Wohnwagens anhoben und die Stein-blöcke wegschoben. Da war Jack, den Arm um Dennis, trank aus dessen Flasche. Ein Lastwagen rammte wahllos andere Autos, sandte Glassplitter auf den Boden. Billy Pretty lag auf den Stufen und sang tonlose Lieder, zwang jeden, über ihn wegzusteigen. Ein mitreißender, wilder Wahnsinn braute sich zusammen, Geschrei und Gebrüll im Takt mit der hämmernden Musik, heftiges Schnauben und rasende Tollerei. Die Stimmen wurden schwerer und verfielen in den alten Dialekt der Vorhäfen. Quoyle verstand kein Wort mehr.
    Ein ausgemergelter, schwarzhaariger Mann, dreißig Zentimeter größer als die einheimischen Männer, die meist ein breites Kinn, keinen Hals, sandfarbenes Haar und einen mächtigen Brustkorb hatten, stieg auf die Stufen. Er hob eine Axt hoch, die er neben Nutbeems Holzstapel gefunden hatte.
    »Uh!« rief er. »Will Abschied nehm’, was? Wir woll’n ihn hierham. Auf, Jungs, wir zerhacken sein Boot. Hast deine Kettensäge dabei, Neddie?«
    Nutbeem kreischte: »Nein! Nein! Rührt sie bloß nicht an! Laßt sie bloß in Ruhe, verdammte Scheiße!«
    Mit Gebrüll stürzte ein Dutzend Mann hinter dem Schwarz-haarigen her. Quoyle begriff nicht, was vor sich ging, sah, daß er allein zurückgeblieben war. Die Party war ohne ihn weiter-gewandert. Genau wie immer. Quoyle außen vor. Es hatte sich kein verdammtes bißchen geändert. Eingeschnappt torkelte er die Straße entlang, fort in Richtung auf – was? Irgendwas.
    »Quoyle, du verdammter Hund, komm zurück und hilf mir, sie zu retten!« Nutbeems Geheul ging im allgemeinen Lärm unter.
    Die Party stürmte zu dem Steg, wo die Pluckerwank vertäut lag. Ein paar hatten hinten aus ihren Pickups Kettensägen geholt, andere trugen Stöcke und Steine. Der Schwarzhaarige machte den Anführer und brüllte: »Wir lieben den verdammten alten Nutbeem!«
    Das schlichte kleine Boot lag am Steg, repariert und seeklar, Proviant verstaut, Frischwassertanks gefüllt, neue Taue, die paar blanken Teile poliert. Lachend und weinend taumelte Nutbeem die Straße entlang, während die wilden Männer über sein Boot herfielen. Der Schwarzhaarige hob die Axt und ließ sie mit aller Kraft aufs Deck sausen. Eine Kettensäge fraß sich in den Mast. Schreckliche Schlag- und Reißgeräusche, immer wieder Klatschen, wenn Teile der Pluckerwank ins Wasser fielen. Der Schwarzhaarige ging mit seiner Axt unter Deck und hackte sich in ein paar Minuten durch den Boden.
    »Rette sich, wer kann«, schrie er, stürmte voran und sprang auf den Steg. Innerhalb von zehn Minuten war Nutbeems Boot untergegangen, nur noch das Dach der Kabine schaute aus dem Wasser wie ein vollgesogenes Floß.
     
    Quoyle erinnerte sich nicht, daß er den Mahlstrom verlassen hatte. Im Augenblick war er noch dort, im nächsten auf Händen und Knien im Graben auf der anderen Seite der Brücke. Die Luft war wie Wasser in seinem brennenden Mund. Oder war er ins Wasser gefallen und dampfte jetzt steuerlos durch die Nacht? Er stand auf, taumelte, schaute zum Wohnwagen zurück. Aus den Fenstern schien schräg das Licht wie bei einem sinkenden Passagierschiff. Die Schiffe konnten Nutbeems Lautsprecher noch fünf Meilen von der Küste entfernt hören. Das Geheul des Mobs.
    Er ging los, schlurfte die Straße entlang, hinein in die Stille. Zum Teufel mit Nutbeem. Er hatte seine eigenen Probleme. An den Häusern vorbei und die steilen Straßen von Killick-Claw hinauf.

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