Schiffsmeldungen
zwischen fünfundvierzig und fünfundneunzig. Stoppeliges Kinn, schlaffer Hals. Strähniges, miefiges Haar. Vom Kettenrauchen dunkelgelbe Finger. Er hatte einen mit Fischschuppen gesprenkelten Overall an, und seine Füße auf dem Schreibtisch steckten in Gummistiefeln mit roten Sohlen.
»Jaja!« sagte er mit erschreckend lauter Stimme. »Jaja«, und legte auf. Steckte sich eine Zigarette an.
»Quoyle!« Die Hand kam angeschossen, und Quoyle schüttelte sie. Es war, als nähme man einen Topflappen aus Leder in die Hand.
»Schwüles Wetter und wenig Regen. Da sitzen wir also in der Zentrale des Gammy Bird , Quoyle. Also, Sie arbeiten für die Zeitung, und der geht’s recht gut, und ich will Ihnen mal erzählen, wie ich dazu gekommen bin. Damit Sie Bescheid wissen. Weil Sie ja sehen können, daß ich nicht auf die Journalistenschule gegangen bin.« Feuerte Rauchfahnen aus den Mundwinkeln, schaute zur Decke hinauf wie zu Seemannssternen.
»Mein Ururgroßvater mußte, um zu überleben, zum Kannibalen werden. Wir ließen uns in Flour Sack Cove nieder, genau hier, jetzt sind nur noch ein paar Familien von damals übrig. Die Buggits haben in diesen Gewässern gefischt, Robben gejagt, Schiffahrt betrieben, alles getan, um durchzukommen. Früher konnte man gut leben vom Fischen. Als ich noch jung war, gab’s nur die Küstenfischerei. Man hatte sein Boot, seine Netze. Den Fisch aufzuspüren war ’ne Kunst. Es heißt, ›der Fisch trägt keine Glocken‹. Billy Pretty war eine der besten Spürnasen. Kannte das Gewässer wie die Löcher in seiner Matratze. Er kann Ihnen jedes Riff hier an der Küste nennen, das ist die Wahrheit, bei Gott.
Man schuftete bis zum Umfallen, machte weiter, solange man konnte, holte sich hier und da ein bißchen Schlaf, arbeitete nachts bei Fackellicht, bekam vom Salzwasser überall an den Händen und den Unterarmen Furunkel, aber die Arbeit ging weiter. Na ja, ich hab’ keine mehr gekriegt, sobald ich ein Mittel dagegen wußte. Man schneidet sich die Nägel an ’nem Montag, dann kriegt man keine. Das tun jetzt alle! Sie wissen, wie schnell eine geschickte Hand Fisch aufschneiden kann? Nein, ich seh’ schon, Sie wissen’s nicht. Wenn ich Ihnen sage, dreißig Stück in der Minute, dann sagt Ihnen das nichts. Stellen Sie sich vor: Dreißig Fische in einer Minute zu säubern! Meine Schwester konnte das im Schlaf!« Er hielt inne, saß da, schnaufte. Steckte sich noch eine Zigarette an, spie Rauch.
Quoyle versuchte sich vorzustellen, wie er sich abmühte, es mit Profis im Fischausnehmen aufzunehmen, unter einer glitschigen Flut ersterbender Leiber begraben wurde. Petal schwamm in einem langen Kleid aus platinfarbenen Fischschuppen voran, die nackten Arme wie aus Silber, ihr Mund weiß.
»Es war ein hartes Leben, aber es machte zufrieden. Aber es war hart. Schrecklich hart in der alten Zeit. Geschichten gibt’s, da werden Ihnen über Nacht die Haare grau, und ich bin der Knabe, der sie Ihnen erzählen könnte. Es gab wilde, gesetzlose Gegenden, wo ein Mann tat, was er wollte. Sie kennen das ja wohl, so wie Sie gebaut sind! Aber die Dinge änderten sich. Als die verfluchte Gegend die harten Zeiten sein ließ und sie gegen den Bund mit Kanada eintauschte, was haben wir da gekriegt? Langsam aber sicher haben wir die Regierung gekriegt. Jaja, Joey Smallwood hat gesagt: ›Jungs, zieht die Boote an Land, verbrennt eure Stellinge und vergeßt die Fischerei; in Neufundland gibt’s für jeden bald zwei Jobs.‹«
Er lachte freudlos, zeigte Quoyle dabei vier Zähne, zündete sich noch eine Zigarette an.
»Na ja, ich war ein Dämlack, ich hab’ ihm geglaubt. Die ersten zehn Jahre etwa hab’ ich alles mitgemacht. Klar, ich wollte das Zeug eben auch, den Strom und die Straßen, Telefon, Radio. Klar wollte ich Krankenversorgung, Post, ’ne gute Schulbildung für meine Kinder. Einiges kam ja auch. Aber die Stellen nicht. Und mit der Fischerei ist es abwärts gegangen, immer weiter und weiter, vierzig Jahre lang ist sie ins Nichts gerutscht, weil die verdammte kanadische Regierung jedem Land auf der Erde Fischereirechte einräumte, uns aber aus dem Geschäft hinausreglementierte. Die verfluchten ausländischen Kutter. Die haben alles leergefischt. Und dann versuchen die verfluchten Greenpeace-Leute die Robbenjagd kaputtzumachen. Okay, sag’ ich mir, wie ich damals seh’, daß ich vom Fischen nich’ mehr leben kann, okay, sag’ ich, ich bin schlau, ich mach’ mit, ich spring’ auf den Plan von
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