Schiffsmeldungen
viel Geld zu sparen, daß ich einen Bootszeichner engagieren konnte, der mir einen Entwurf für eine Dschunke machte, der einfach genug war, daß ich sie zu Hause aus einem Zentimeter starkem Bootssperrholz nachbauen konnte.
Ach, Ms. Hamm, Sie hätten sie sehen sollen, als sie fertig war. Sie war häßlich. Sie war ein plumpes, häßliches Ding, insgesamt neun Meter lang, einen Meter fünfzig Tiefgang und nur das eine Dschunkensegel, aber immerhin mit respektablen zweiunddreißig Quadratmetern. Am Heck hing das Steuerruder. Sie war schwerfällig und langsam. Und sehr häßlich. Noch häßlicher wurde sie, als ich sie rattenbraun anstrich. Ein Stück Schaumstoff als Matratze, mein Schlafsack. Holzkisten als Stuhl und Tisch. Und das war’s. Anfangs habe ich nur vor der Küste herumgestümpert. War überrascht, wie bequem sie war, und sie ließ sich gut handhaben. Das Segel war ein Wunder. Interessant, wie ich daran gekommen bin.«
Die Tante trank ihren Tee aus, schwenkte die Kanne, holte aus dem Schnabel noch eine halbe Tasse heraus. Nutbeem war nicht zu bremsen, schwadronierte jetzt mit einer Gräte zwischen den Zähnen weiter.
»Wissen Sie, ein Freund von mir arbeitete bei Sotheby’s, und eines Tages erwähnte er, daß sie eine Menge Seefahrtsund Marinekuriosa versteigern würden. Also ging ich hin – aus bloßer Neugier. Genau, was man erwarten konnte: Schnitzereien aus Walroßzähnen, ein Namensschild von einem der Rettungsboote der Titanic , polynesische Palmblattkarten, alte Landkarten. Im Katalog stand nur ein Stück, das mich interessierte, ein aus Macao stammendes Dschunkensegel mit Bambusverstrebungen in gutem Zustand. Ich bekam es schließlich für einen geringeren Preis als ein neues. Ein kleines Wunder.
Dann erlebte ich, was für ein aerodynamisches Wunder ein Lattensegel ist – es bildet eine Art Flachkurve. Es besteht lediglich aus Schilf- oder Leinwandstücken, die mit den Latten in der Waagrechten versteift sind – das Prinzip des Fächers gewissermaßen. Man faltet es zu und wieder auf, ganz wie einen Fächer ohne Drehpunkt. Wegen der Verstrebungen läßt sich das Segel sehr gut kontrollieren – sekundenschnell reffen oder hissen. Keine Stagen und Wanten. Die kleinen Karrees lassen einen genau im richtigen Maß brassen. Man sagt, daß das Segel sogar trägt, wenn die Leinwand zur Hälfte nur aus Löchern besteht. Bei den Chinesen heißt es ›das Ohr, das auf den Wind lauscht‹. Die alten Dschunkenmatrosen benützten zusammengerollte Schilfrohrsegel sogar als Rettungsflosse, wenn sie Schiffbruch erlitten. Und mein ersteigertes Segel war gut.
Und da bin ich in dem Sommer damals einfach in See gestochen. Über den Atlantik. Es gibt einen Punkt, wissen Sie, da muß man einfach einen Schritt vorwärts machen. Ich habe mich von kleinen Packungen mit asiatischen Ramen-Nudeln ernährt, von getrockneten Pilzen, getrockneten Krabben. Ich hatte einen winzigen Kocher, so groß wie eine Teetasse. Kennen Sie sicher. Siebenundsechzig Tage bis Fly-by-Night. Ich habe vor, so um die ganze Welt zu segeln.«
»Sie sind aber immer noch hier. Sparen Sie Geld für den nächsten Schritt?« fragte die Tante.
»Ach ja, das auch, und ich schließe ein paar wichtige Reparaturen ab. Ich wollte den St.-Lorenz-Strom nach Montreal hinauf, aber es gab einen Sturm, und ich wurde vom Kurs abgetrieben. Ich hatte nie vor, überhaupt nach Neufundland zu kommen. Wenn ich es hätte verhindern können. Es war Pech, daß ich an einer der schlimmsten Stellen der ganzen Küste auflief. Schlimme Felsen. Die arme Pluckerwank, den ganzen Weg gemacht, und reißt sich den Boden in Fly-by-Night auf, ein sehr sonderbarer Ort. Dort habe ich den Jungen mit der Chin Music gehört.«
»Ich könnte los und mich um Warren kümmern«, sagte Quoyle leise zur Tante. Sah, daß sie ihre Serviette zu einem weißen Seil verdrehte.
»Nein, nein. Bleib du bei Mr. Nutbeem. Ich mache das lieber selbst. Lieber allein.« Und stand auf und ging hinaus.
»Ihr Hund ist gestorben«, sagte Quoyle.
Nutbeem winkte nach noch einem Lager.
»Geht auf mich«, sagte er und schöpfte wieder Atem. Doch bevor er mit Fly-by-Night weitermachen konnte, warf Quoyle etwas ein.
»Ich habe heute nachmittag von Dennis Buggits Abenteuern auf der Polar Grinder gehört. Vom Hafenmeister, Mr. Shovel. Der ist ein echtes Erzähltalent.«
»O ja. Das war was, nicht? Da kriegt man eine Gänsehaut. Mein Puls fängt zu rasen an, wenn Jack hereinkommt. Komischer Kauz. Der Kerl kann
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