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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Gedanken lesen.«
    »Jack? Von Jack hat er nichts erzählt, außer daß er sauer war, als Dennis auf dem Schiff anheuerte. Aber wie er den Sturm und das Von-Bord-Gehen beschrieb. Echtes Seemannsgarn. Leider mußte er aufhören, ehe die Geschichte zu Ende war.«
    »Herrje, die Sache mit Jack ist das Beste an der Geschichte. Na denn!« Nutbeem lehnte sich zurück, schaute sich nach der Bedienung mit dem Lager um, sah, daß das Glas bereits vor ihm stand.
    »Soweit ich gehört habe, gab der Suchrettungsdienst Dennis und die übrigen verloren. Sie klaubten zwei Flöße mit Überlebenden und alle Rettungsboote auf bis auf eines. Sechs Mann, die alle mit Plastikschnur miteinander verbunden waren. Vier blieben vermißt. Einschließlich Dennis. Nach einer Woche Suchen mußten sie abbrechen. Hubschrauber, Küstenwacht, Fischerboote. Die ganze Zeit über schlief Jack kaum, ging unten am Pier der Küstenwacht auf und ab, rauchte, wartete auf Nachricht. Mrs. Buggit oben im Haus. Wohlgemerkt, ich war nicht hier. Habe alles von Billy und Tert Card gehört und natürlich von Dennis selbst. Sie kamen an und sagten Jack, sie müßten die Suche aufgeben. Es war, als hätte er sie nicht gehört. Stand da, wird erzählt, wie ein Stein. Dann dreht er sich um – Sie kennen die abrupte Art, wie Jack sich um-dreht – und sagt: ›Er lebt noch.‹
    Ging zu seinem Bruder William in Misky Bay und sagt: ›Er lebt, und ich weiß, wo er ist. Ich will rausfahren und ihn suchen. ‹ William hatte nämlich einen neuen Longliner, äußerst seetüchtig. Aber er hatte Angst, sich zu weit von der Küste zu entfernen. Der Seegang war noch rauh, sogar eine Woche nach dem Sturm noch. Sagte, wohlgemerkt, nie, daß er nicht wollte, zögerte aber einen Sekundenbruchteil lang. Mehr brauchte Jack nicht. Er machte auf dem Absatz kehrt und raste wieder nach Flour Sack Cove hinauf. Trommelte ein paar Mann zusammen, die ihm halfen, sein Reusenskiff aus dem Wasser und auf den Anhänger zu wuchten, und zischte ab Richtung Südküste. Er fuhr die ganze Nacht durch bis Owl Bawl, brachte das Skiff ins Wasser aus, lud es mit seinen Treibstoffkanistern voll und fuhr los, allein aufs Meer hinaus, um Dennis zu suchen.
    Und er fand ihn. Woher er wußte, wohin er fahren mußte, übersteigt jegliche Logik. Dennis und noch einen. Dennis hatte beide Arme gebrochen, und der andere war bewußtlos. Wie bekam er sie beide in das Skiff? Jack sagte, soweit ich gehört habe, kein Wort, bis sie nach Owl Bawl kamen. Dann sagte er: ›Wenn du je wieder einen Fuß auf ein Boot setzt, dann ersäufe ich dich eigenhändig.‹ Sobald er den Gips los hatte, fuhr Dennis natürlich wieder mit seiner Frau zum Kalmarfischen hinaus. Und Jack drohte ihm mit der Faust, und sie reden nicht mehr miteinander.«
    »Wie lang ist das her?« fragte Quoyle und schwenkte den Schaum in seinem Glas im Kreis herum, bis sich ein Strudel bildete.
    »Ach, Ewigkeiten. Sehr lange. Vor meiner Zeit hier.«
     
    Kilometer entfernt betrachtete die Tante die windgepeitschte Küste. So gut wie jede andere Stelle. Sie parkte oben auf den Dünen und starrte zum Ufer hinunter. Steigende Flut. Die Sonne hing am Meeresrand. Ihre flach fallenden Strahlen vergoldeten die nassen Steine. Unter einem Streifen maisgelbem Himmel tosten Brecher.
    Die Wellen rollten heran, eine nach der anderen, orange gestreifte Kronen brachen, wichen zurück und rissen laut kullernde Kiesel mit. Sie öffnete die Heckklappe von Quoyles Kombi und hob den toten Hund heraus.
    An der Tanglinie vorbei, auf harten Sand. Die Fransen aus Blasentang und Wasserknöterich streckten sich, entspannten sich, strömten wieder herein auf unruhigem Wasser. Die Tante legte Warren auf die Steine. Eine hereinströmende Welle durchnäßte das Laken.
    »Du warst ein gutes Mädchen, Warren«, sagte die Tante. »Ein kluges Mädchen, hast keinen Ärger gemacht. Es hat mir leid getan, daß sie dir die Zähne ziehen mußten, aber es hieß, entweder das oder du weißt schon was. Haha. Hast ein paarmal gut zugebissen, was? Viele gute Jahre, obwohl du keine Knochen gekriegt hast. Tut mir leid, daß ich dich nicht begraben kann, aber wir sind hier in einer schwierigen Lage. Zu schade, daß du nicht warten konntest, bis wir in das Haus hin-ausziehen. Und zu schade, daß Irene dich nie kennengelernt hat. Die hätte dich gemocht, da bin ich mir ziemlich sicher.« Dachte: Irene Warren. Wie ich dich vermisse. Immer vermissen werde.
    Sie schneuzte sich in ihr Taschentuch, wartete in der

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