Schiffsmeldungen
einen breiten Scheitel symmetrisch geteiltes Haar. Die klappernde Nadel wurde langsamer, der Musselin glitt über den Tisch. Die Frau lächelte Quoyle zu, zeigte zwischen violetten Lippen vollkommene Zähne, dann verblaßte ihr Lächeln, Traurigkeit legte sich über ihr Gesicht, von den Brauen zum Mund. An ihrer Kehle kräuselte sich ein Jabot.
»Mrs. Mavis Bangs«, sagte die Tante wie ein Zeremonienmeister.
An einem anderen Tisch eine junge Frau mit einem Helm aus dichten braunen Locken, die großzügig mit der Schere Leder schnitt.
»Und Dawn Budgel«, sagte die Tante. Die Frau, gespannt vor Konzentration, sah nicht auf und hörte nicht zu schneiden auf. Es roch nach Leder, Färber, Kleister und Parfüm. Das Parfüm kam von Mrs. Bangs, deren Hände jetzt verschränkt waren, die Quoyle anstarrte. Seine Hand fuhr an sein Kinn.
»Tja, das ist alles«, sagte die Tante. »Bis jetzt sind nur die zwei Nähplätze und ein Schneidetisch aufgestellt, aber da das Geschäft erst im Aufbau ist, hoffe ich auf sechs Nähmaschinen und zwei Schneidetische. Soviel hatte ich unten in Long Island. Nächste Woche kommt ein Segelkutter herauf, der unter Deck wie eine Jacht ist – wurde an der Westküste der Staaten als Lachsfangketsch gebaut, gehört aber jetzt einem Kerl in St. John’s. In den letzten zwei Jahren hab’ ich einige gewerbsmäßige Segelfischkutter gesehen. Sind billig zu unterhalten, heißt es. Das berufsmäßige Segeln kommt wieder in Mode. Wie ich mir das wünsche.
Dawn schneidet gerade die Stuhllehnen für den Speisesaal auf der Jacht der Melvilles zu. Dieses Blau paßt zu den Augen von Mrs. Melville. Sie hat es unten in New York eigens färben lassen. Und Mavis näht das Futter zusammen, das über den Schaumgummi kommt. Dawn, das ist mein Neffe, von dem ich Ihnen erzählt habe. Arbeitet bei der Zeitung. Wir laufen nur rasch zu Skipper Will rüber und essen was. Dawn, wenn Sie fertig sind, dann könnten Sie die andere Maschine mit dem blauen einfädeln. Sie hat auch den Faden einfärben lassen.«
Die Tante klapperte auf ihren schwarzen Absätzen durch die Tür, und Quoyle, der sie nur langsam hinter ihr schloß, hörte Mrs. Bangs zu Dawn sagen: »Nicht, was Sie gedacht haben, wie?«
Aus Skipper Wills Abzugsventilator kam ein Schwall aus heißem Öl und Angebranntem. Drinnen war der Mief noch schlimmer, Fischer in blutigem Ölzeug und Stiefeln hockten bei Pommes und Dorsch, tranken mit lose herunterbaumelndem Seezeug aus ihren Tassen. In der Wolke aus der Friteuse löste sich Zigarettenrauch auf. Die Bedienung brüllte Richtung Küche. Quoyle konnte sehen, wie Skipper Wills schmuddelige Schürze hin und her wogte wie Eis im Anbranden der See.
»Na, Agnis, Mädel, was soll’s heut sein?« Die Bedienung strahlte die Tante an.
»Ich nehm’ den gedünsteten Dorsch, Pearl. ’ne Tasse Tee natürlich. Das ist mein Neffe, arbeitet für die Zeitung.«
»Ach ja, hab’ ihn schon gesehn. War neulich mit Billy da. Hatte den Kalmarburger.«
»Genau«, sage Quoyle. »Köstlich.«
»Skipper Will, wiss’n Se, der hat den Kalmarburger erfunden. Wolln Se ’n heut auch?«
»Ja«, sagte Quoyle. »Warum nicht? Und Tee. Mit Sahne.« Er hatte seine Erfahrung mit dem Kaffee des Skippers, eine schwache, aber herbe Brühe mit einem Beigeschmack nach Kabeljau.
Quoyle faltete seine Serviette zu einem Fächer, faltete sie wieder auf und machte immer kleiner werdende Dreiecke daraus. Er sah die Tante an.
»Möchte dich was fragen, Tante. Wegen Bunny.« Gestählt für das Gespräch. Petal hatte hundertmal gesagt, Bunny sei ein »komisches Kind«. Er hatte es abgestritten. Aber sie war tatsächlich anders. Etwas war nicht in Ordnung. Sie war wie ein Wasserkessel, der ständig vor sich hin siedete, dann wieder lautstark brodelte, ehe der Topf austrocknete und sprang, oder manchmal kalt mit einer Haut aus Mineralblumen obenauf.
»Hältst du sie für normal, Tante?«
Die Tante blies ihren Tee, sah Quoyle an. Vorsichtige Miene. Sah Quoyle scharf an, als wäre er eine neue Sorte Leder, die sie vielleicht kaufen würde.
»Diese bösen Träume. Und ihre Launen. Und -« Er hielt inne. Drückte sich ungeschickt aus.
»Also«, sagte die Tante. »Überleg doch mal, was passiert ist. Sie hat Familienangehörige verloren. Ist an einen fremden Ort gezogen. Das alte Haus. Neue Leute. Ihre Großeltern, ihre Mutter. Ich bin mir nicht sicher, ob sie begreift, was passiert ist. Manchmal sagt sie, sie wären immer noch in New York. Die
Weitere Kostenlose Bücher