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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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nicht an eine Veranlagung fürs Absonderliche. Befürchtete, daß der Verlust, die Erbärmlichkeit der Kindheit, seine Unfähigkeit, ihr genug Liebe entgegenzubringen, Bunny geschadet hatten.
    »Warum wartest du nicht einfach ab, Neffe. Schaust, wie es weitergeht. Im September kommt sie in die Schule. Drei Monate sind für ein Kind eine lange Zeit. Ich gebe dir recht, daß sie anders ist, man könnte sagen, daß sie mitunter ein wenig sonderbar ist, aber weißt du, wir sind alle anders, auch wenn wir es nicht zugeben. Im Innern sind wir alle sonderbar. Wenn wir erwachsen werden, lernen wir, unsere Andersartigkeit zu verstecken. Bunny ist noch nicht soweit.«
    Quoyle atmete aus, schob sich die Hand übers Kinn. Ein Gefühl, daß sie überhaupt nicht von Bunny sprachen. Aber von wem dann? Das Gespräch löste sich auf wie Nebel in der Sonne.
    Die Tante aß ihren Fisch, ein Grätengewirr am Rand ihres Tellers, das die Bedienung die Nagelschnipsel des Teufels nannte.
    Gingen in die Werkstatt zurück. Als sie auf dem Gehsteig näher kamen, sah er durch das Schaufenster den Scheitel in Mrs. Bangs schwarzem Haar, die sich über einen Stuhlsitz beugte und mit einem Brechbeitel Heftklammern herauszog.
    »Also«, sagte die Tante. »Gut, daß wir über die Sache geredet haben. Es ist zwar schade, aber ich muß heute abend länger bleiben. Wir müssen die Bänke abziehen. Wir müssen mit dem ganzen Kram bis nächsten Dienstag fertig werden, fix und fertig. Wenn du die Mädchen abholen würdest. Und mach dir keine Sorgen wegen Bunny. Sie ist noch ein kleines Mädchen. «
    Aber das hatte Guy nicht abgehalten. Beim erstenmal war sie in Bunnys Alter gewesen.
    »Ja«, sagte Quoyle, von ein paar Sekunden des Glücks hin und her gerissen. Na schön, er würde abwarten. Passieren konnte alles mögliche. »Ißt du in der Stadt zu Abend oder sollen wir was für dich vorbereiten?«
    »Ach, ich nehme hier einen Happen zu mir. Mach du nur. Du mußt Milch kaufen und Eis für die Kühlbox. Und reg dich nicht auf wegen nichts und wieder nichts.«
    »Tu’ ich nicht«, sagte Quoyle, »ade.« Beugte sich zur weichen Wange der Tante, die schwach nach Avocadoölseife duftete. Sie meinte es gut. Wußte aber nichts über Kinder und die Angst, die sie litten.

16
    Beetys Küche
    »Die Knoten, die von einer Hausfrau gebraucht werden können, sind so mannigfaltig, daß die Bedürfnisse nicht spezieller Art sind und somit unter den allgemeinen Gruppen die gesuchten Knoten gefunden werden.«
    DAS ASHLEY-BUCH DER KNOTEN

    Ein schöner Teil von Quoyles Tag kam, wenn er bei Dennis und Beety seine Töchter abholte. Sein Anteil am Leben wirkte reicher, er wurde mehr zum Vater, konnte gleichzeitig echte Gefühle zeigen, die oft Sehnsucht waren.
    Der Hügel, der sich zum Wasser neigte, die hochragenden Zaunlatten und dann Dennis’ aquamarinblaues Haus mit einem Aussichtsfenster zur Straße hin. Quoyle zog Stifte aus seinem Hemd, legte sie aufs Armaturenbrett, ehe er hinein-ging. Denn Stifte störten. Hinter der Tür lag gleich die Küche. Quoyle stieg um Kinder herum und über sie weg. Im Wohnzimmer, unter einem getönten Foto von zwei Frauen, die sich zwischen Farnen rekelten, lümmelte Dennis auf Sofapolstern mit Leopardenmuster, sah sich die Fischereinachrichten an. Zu beiden Seiten Häkelkissen in Regenbogen- und Karomustern. ZIMMERMANN ZU HAUSE.
    Das Haus war heiß, roch nach Brotbacken. Aber Quoyle liebte diese erstickende Hefehitze, das Geschnatter und Kindergeschrei über dem Fernsehlärm. Manchmal lasierten Tränen die Szenerie, er fühlte sich, als wären Dennis und Beety seine heimlichen Eltern, obwohl Dennis in seinem Alter war und Beety jünger.
    Dennis sah kaum vom Bildschirm auf, rief aber in die Küche: »Mach uns einen Tee, Mutter.«
    Der Wasserhahn ergoß sich in den Kessel. Ein kleinerer Kessel dampfte auf dem weißen Herd. Beety fegte mit der Handkante über den Küchentisch, legte einen Laib Brot heraus. Winnie, das älteste Buggit-Kind, holte einen Stapel Teller. Als Quoyle sich hinsetzte, warf Bunny sich ihm in die Arme, als käme er gerade von einer langen, gefahrvollen Seereise zurück, umarmte ihn, rammte ihren Kopf gegen ihn. Bei ihr stimmte alles. Alles. Sunshine spielte mit Murchie Buggit Spinne, ihre Arme krochen seinen Arm hinauf, sie sagte: Kille, Kille.
    Die Kinder im Schoß, saß Quoyle am Küchentisch; aß Brot und gelbe Schellbeerenmarmelade, nickte, hörte zu. Dennis erzählte bedächtig von den Neuigkeiten des Tages, Beety

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