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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Dinge stehen für sie kopf. Ich glaube, das trifft auf uns alle zu.«
    »Stimmt ja alles«, sagte Quoyle und trank gierig seinen Tee, »aber da ist« – seine Gedärme rumpelten wie ein Zug -, »da ist noch etwas anderes. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber das meine ich.« Die Bezeichnung »Persönlichkeitsstörung« – die Bezeichnung der Kindergärtnerin in Mockingburg, wenn Bunny andere Kinder schubste und die Kreide-stifte raffte.
    »Gib mir ein Beispiel, was du meinst.«
    Eine trübe Wolke senkte sich auf Quoyle. »Na ja, Bunny gefällt die Farbe des Hauses nicht. Dieses dunkle Grün.« Das klang idiotisch. Was in der Küche passiert war, zählte. Über den Rest konnte er wegsehen. Der gedünstete Kabeljau und der Kalmarburger kamen. Quoyle biß in den Kalmarburger wie in Handgelenkfesseln.
    »Einmal die Alpträume. Und wie sie wegen nichts und wieder nichts schreit und zetert. Mit sechs, sechseinhalb sollte ein Kind sich nicht so aufführen. Weißt du noch, wie sie glaubte, einen Hund gesehen zu haben, als wir zum erstenmal zu dem Haus kamen? Stocksteif aus lauter Angst vor einem weißen Hund mit roten Augen? Wie wir suchten und suchten und weder Spur noch Fährte fanden?« Quoyles Stimme wurde rauher. Er hätte alles gegeben, um weit weg zu sein. Machte dennoch weiter.
    »Ja, natürlich weiß ich das noch.« Die Gabel, die auf dem Teller der Tante dahinscharrte, Küchenhitze, Messergeklapper, anschwellendes Lachen. »Vor ein paar Wochen gab es noch ein Abenteuer mit einem weißen Hund. Du kennst den kleinen weißen Stein, den ich in meinem Felsgarten hatte? Wenn man ihn anblinzelte, sah er wie ein Hundekopf aus? Sie kam angerannt, hämmerte an die Tür, brüllte sich die Seele aus dem Leib. Ich dachte, es wäre was Schreckliches passiert. Brachte sie nicht dazu, daß sie mit dem Brüllen aufhört und mir erzählt, was los ist. Schließlich streckt sie die Hand aus. An einem Finger hat sie einen winzigen Schnitt, vielleicht einen halben Zentimeter lang. Ein Tropfen Blut. Ich machte ein Pflaster drüber, und sie beruhigte sich. Wollte nicht sagen, wie sie zu dem Schnitt gekommen ist. Aber ein paar Tage später sagt sie mir, daß sie den ›Stein mit dem Hundegesicht‹ weggeworfen hat und er sie gebissen hat. Sie sagt, das an ihrem Finger sei ein Hundebiß gewesen.«
    Die Tante lachte, um zu zeigen, daß man sich darüber nicht aufzuregen brauchte.
    »Das meine ich ja. Sie bildet sich diese Sachen ein.« Quoyle hatte den Kalmarburger verschlungen. Er war gesättigt. Die Tante machte nichts aus etwas, schweifte von Dingen ab, die gesagt werden mußten. Die Leute hinter ihnen lauschten. Er spürte ihre Aufmerksamkeit. Flüsterte. »Schau, ich mach’ mir Sorgen. Wirklich. Sogar ernste Sorgen. Am Samstagmorgen, als du dein Paket abholen gefahren bist? Wir kamen gerade zum Mittagessen rein. Sunshine mühte sich mit ihren Stiefeln ab – du weißt ja, daß sie sich ihre Stiefel selber ausziehen will. Bunny holte die Schachtel mit den Crackern für die Suppe raus, sie machte die Schachtel auf, und das Wachspapier innen raschelte, als sie mit einemmal innehält. Sie starrt zur Tür. Sie fängt zu weinen an. Tante, ich schwör’ dir, sie hatte Todesangst. Sie sagt: ›Daddy, der Hund kratzt an der Tür. Schließ die Tür ab!‹ Dann fängt sie zu brüllen an. Sunshine sitzt mit einem Stiefel in den Händen da, hält den Atem an. Ich hätte die Tür aufmachen sollen, um ihr zu zeigen, daß nichts da war, aber statt dessen schloß ich sie ab. Weißt du, warum? Weil ich befürchtete, es könnte tatsächlich was da sein. So stark war die Kraft ihrer Angst.«
    »Tss«, machte die Tante.
    »Ja«, sagte Quoyle. »Und sobald ich die Tür abschloß, hörte Bunny zu brüllen auf, nahm die Schachtel mit den Crackern und nahm zwei Cracker raus. Kalt wie ein Eiszapfen. Jetzt sag bloß, das ist normal. Das möchte ich mal hören. Wie die Dinge liegen, frage ich mich, ob sie nicht zum Kinderpsychologen sollte. Oder zu irgend jemand.«
    »Weißt du, Neffe, das würde ich nicht übereilen. Ich würde ihr ein bißchen Zeit lassen. Es gibt ja noch andere Möglichkeiten. Worauf ich hinauswill, ist, daß sie vielleicht auf eine Art sensibel ist wie sonst keiner von uns. Für Dinge empfänglich ist, die wir nicht mitkriegen. Solche Menschen gibt’s.« Blickte Quoyle von der Seite an, um zu sehen, wie er es auf-nahm. Daß seine Tochter womöglich Dinge hinter der unverrückbaren Realität wahrnahm.
    Aber Quoyle glaubte

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