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Schiffstagebuch

Schiffstagebuch

Titel: Schiffstagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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auf dem Sterbebett hat er sein Geheimnis preisgegeben.
    Und Smirnow? Er wurde als Zeuge in dem Prozeß vorgeladen und wird sich wohl das Seine gedacht haben, als Palmer freigesprochen wurde. 1944 und ‘45 flog
     er noch für eine andere Gesellschaft, ging dann zurück nach Holland und später, wie so viele, die in den Tropen gelebt haben, nach Mallorca. 27 000
     Stunden war er geflogen seit jenen ersten Tagen bei der Kaiserlich Russischen Luftwaffe. Über sein Leben erschien ein Buch, The Smirnoff Story , von
     Anne Coupar, und er selbst schrieb ebenfalls eines, The Future Has Wings . Alexander Korda und Cecil B. DeMille wollten sein Leben verfilmen, doch
     als er erfuhr, welche Schauspieler ihn spielen sollten, verweigerte er seine Zustimmung. Er starb im Oktober 1956.
     
    Ich sitze ganz ruhig auf meinem Felsen. Größerer Friede ist nicht denkbar. Irgendwo in der Ferne auf der anderen Seite des Ozeans muß unser früheres Königreich liegen. Das Wasser ist glatt und glänzt, aber ich weiß, wie trügerisch das ist. Im nächtlichen Kubus meines Hotels habe ich die Geschichten über Broome gelesen, Geschichten von Perlentauchern und Strafexpeditionen gegen die Aborigines, von Schicksal und Mißverständnis, und die Blutfarbe des Wassers reimt sich mit dem Gelesenen.
    Einst war Broome die Perlenhauptstadt der Welt, von überallher kamen sie, mitleidslose Weiße auf baufälligen Booten. Auf dem Grunde des Meeres, der Buchten und der Flüsse lagen die Austernbetten der Pinctada maxima , mächtig große Muscheln mit Perlmutt und, wenn man Glück hatte, mit Perlen. Und Glück, darauf waren die Männer aus. Es war das letzte Viertel des neunzehnten Jahrhunderts, Taucherhelme waren noch nicht erfunden, fast nackte Menschen waren nötig, um bis hinunter zum Grund zu tauchen. Menschen, die gab es genug, ein ganzes Hinterland voller Aborigines. Was ist das Leben eines Aborigine wert? Einer schwangeren Frau, eines Jungen, fast noch ein Kind? Wie lange kann man unter Wasser bleiben?
    In seinem Buch Port of Pearls erzählt Hugh Edwards die Geschichten von Abenteuern, Schicksal und Grausamkeit. Das größere Schiff und die kleineren Boote mit dem einen Weißen und den vier oder fünf Aborigines, die für die lebensgefährliche Arbeit nicht bezahlt werden. Sie müssen von den Booten springen und mit einer Muschel wieder auftauchen. Dafür haben sie weniger als eine Minute Zeit. Der Gezeitenstrom fegt die Muscheln unter Wasser in seiner Bewegung mit. Edwards zitiert die wenigen Menschen,die damit zu tun hatten und darüber geschrieben haben. Sobald Luftblasen an der Stelle zu sehen sind, an der jemand getaucht ist, weiß man, es ist schiefgegangen, denn falls jemand unter Wasser Atem holt, beginnt er zu sinken, erstickt und kommt nie wieder nach oben, oder er wird von einem Hai angegriffen und in Stücke gerissen. Wie viele Aborigines auf diese Weise gestorben sind, weiß niemand, darüber wurde nicht Buch geführt. Wer sich für einen Moment am Bootsrand festhalten wollte, nachdem er seine Muschel abgeliefert hatte, bekam Schläge auf die Hände. Wer keine Muschel heraufbrachte, mußte später mit einem Tomahawk Muscheln abkratzen, eine Arbeit, die jeder haßte. Die Aborigines, sogar die, die man im Binnenland zwangsrekrutiert und mit Ketten um den Hals zur Küste gebracht hatte, waren phantastische Taucher, ihre Kondition war wesentlich besser als die der Malaien, die später kamen und, im Gegensatz zu ihnen, entlohnt wurden.
    Noch später, als die Zuchtperle und der Taucherhelm erfunden waren, sollte sich alles ändern. Die Aborigines wurden fürs Tauchen nicht mehr gebraucht. Sie kamen mit diesen klaustrophobischen mechanischen Monsterköpfen nicht zurecht, darin waren die Japaner und Chinesen besser, und wieder sollte sich die Welt von Broome eine Umdrehung weiterdrehen. Taucherhelme, Zuchtperlen, andere Formen von Reichtum, aber nach wie vor diese riesige Entfernung zu den übrigen Städten des Kontinents und nach wie vor wenige Straßen, um sie zu überwinden.
    Das Faszinierende an local history ist das Doppelmuster, das der großen Bewegung der Geschichte und das des individuellen Geschicks oder Verhängnisses. Die Weißen, die in diesen wilden Norden zogen, konnten die Weltder Aborigines nicht verstehen. Von der Kosmogonie, dem Weltbild, den Schöpfungsmythen, an denen diese seit Jahrtausenden gefeilt hatten, wußten sie nichts. Sie sahen ein Spiegelbild, das Angst einflößte, die Möglichkeit des völlig Anderen,

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