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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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hatte sich treiben lassen und ihr Vagabundenleben geliebt, doch dann war ihr Lebensschiff über Nacht leckgeschlagen und auf Grund gesunken. Sie hatte ihre Schwester, ihren Geliebten und ihren Glauben daran verloren, dass es für sie an der Seite eines anderen Mannes ein neues Glück geben könnte.
    »Du bist nicht am Ende.« Sam schloss sie in die Arme. »Wirklich nicht. Du bist eine herausragende Malerin, glaube mir.«
    »So fühle ich mich aber nicht.«
    Dana lehnte den Kopf an seine Brust, unfähig, den Tränen Einhalt zu gebieten. Seine Arme umfingen behutsam ihre Schultern, und seine Hände strichen beschwichtigend über ihren Rücken, im Gleichtakt mit den Wellen, die gegen das Ufer brandeten. Er führte sie zu einem Stuhl am Esstisch; ohne es zu wissen, hatte er Lilys gewählt. Sie blickte durch einen Tränenschleier hoch und merkte, dass er ihre Hände hielt.
    »Bitte hör mir zu. Ich bin hier, um dir zu helfen.«
    »Das kannst du nicht«, wehrte sie ab.
    »Ich habe dir vor einundzwanzig Jahren ein Versprechen gegeben. Das ist lange her, aber jetzt bin ich in der Lage, es einzulösen.«
    »Was hast du versprochen?«, flüsterte sie.
    »Dich zu beschützen. Dich zu retten, genauso, wie du mich gerettet hast.«
    »Das war etwas anderes.« Dana hatte unvorstellbar gelitten, hatte wahre Höllenqualen ausgestanden. Lilys Tod hatte ihr das Herz gebrochen, und Jonathans Verrat hatte ihr den Rest gegeben. »Ich habe dich nur aus dem Wasser gezogen.«
    »Und genau das werde ich auch tun.« Sam blickte ihr in die Augen. »Dich herausziehen.« In Sams Augen war nichts, was auch nur entfernt an Jonathan erinnerte. Keine Fragen, keine Forderungen, kein Feilschen und keine Ungeduld. Sie waren sehnsuchtsvoll und einzig von dem brennenden Wunsch erfüllt, zu geben und nicht zu nehmen.
    Diese Erkenntnis machte ihr Angst. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Auf sich allein gestellt, mit zwei kleinen Mädchen, die Zuwendung und Halt brauchten, hätte sie selber gerne die Hand ausgestreckt, um Halt zu finden. Aber wie hätte ihr Sam helfen können? Er war zu jung und erwartete, dass sich alle Probleme im Handumdrehen lösten.
    Was wäre, wenn er die Geduld verlor wie Jonathan, und ihr Vertrauen abermals enttäuscht wurde? Sie konnte es nicht mehr ertragen, die Erwartungen, Forderungen, Normen und Zeitvorgaben, an denen andere ihr Verhalten maßen. Es reichte ihr fürs Erste, oder ein für alle Mal. Draußen vor dem Fenster blitzte etwas auf. Es war eine Sternschnuppe, ein Meeresleuchten, das die Schwanzflosse der Meerjungfrau hinabglitt, Quinns Taschenlampe oder ein Leuchtkäfer vom Firefly Beach: Was immer es auch sein mochte, es verlieh Dana die Kraft, ihm die nächste Frage zu stellen.
    »Und wie?«, flüsterte sie. »Wie willst du mich herausziehen?«
    »So.« Er ergriff ihre Hand und zog sie vom Stuhl hoch. Sie standen sich gegenüber, Gesicht an Gesicht, und er blickte ihr lange in die Augen, als wüsste er nicht, was er als Nächstes tun sollte.
    Doch dann schien sein Entschluss gereift. So zart, dass sie zu träumen meinte, küsste er sie auf den Mund. Ein Schauer durchrieselte sie, ihre Knie drohten nachzugeben. Seine Lippen brannten und sie reckte sich, um ihm näher zu sein. Die Kerze blakte in einem Luftzug. Sam drückte sie an sich, und sie merkte, dass sie auf Zehenspitzen stand, auf seinen bloßen Füßen, und ihn küsste, als habe er sein Versprechen wahr gemacht und sie wirklich vor dem Ertrinken gerettet.
    Dana hielt seine Unterarme fest, senkte den Kopf. Der Mann, den sie geküsst hatte, war Sam. Sam Trevor, der kleine Junge, dem sie das Segeln beigebracht hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich: Sie sagten ihr, sie müsse den Verstand verloren haben, ihr Verhalten sei unverzeihlich. Sie renne blindlings in ihr Unglück.
    »Woran denkst du?«, fragte Sam.
    »Daran, wie jung du bist.«
    »Seelen haben kein Alter, Dana.« Er zog sie in seine Arme und küsste sie abermals. Sie schmiegte sich an ihn, spürte ihre Herzen im Einklang schlagen, und ihre Haut kribbelte von Kopf bis Fuß.
    »Sam, ich kann nicht …« Sie trat einen Schritt zurück.
    »Wegen des Altersunterschieds?«
    »Nein, nicht nur das. Es gibt viele Gründe. Lily, die Mädchen … das Ganze ist auch so schon ein heilloses Durcheinander.« Sie überlegte krampfhaft, bemüht, ihre Gedanken zu ordnen, ihm die Situation zu erklären. »Ich bin noch nicht so weit. Es gab da jemanden in Frankreich, der mich sehr verletzt hat. Ich weiß, dass du

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