Schilf im Sommerwind
gehört, aber ihre Tante verstummte und wurde rot. Aber sie sah irgendwie glücklich aus. Das Glück machte sich nicht in etwas so Offensichtlichem wie einem Lächeln bemerkbar, sondern in ihren Augen und ihrer Haut. Sie glühte förmlich, als ob sie darauf brannte, wieder zu malen, als sei sie wieder die Alte, die Tante Dana, die seit dem Tod ihrer Mutter von der Bildfläche verschwunden war.
»Tante Dana?«
»Was ist, Liebes?« Tante Dana tauchte den Pinsel in die blaue Farbe und brachte sie mit leichtem Pinselstrich auf die Leinwand.
»Warum ist jeder Tag so anders?«
»Was meinst du?«
»Warum kannst du heute malen und gestern ging es nicht? Warum war Mom vor zwei Jahren am vierten August noch hier, aber heute nicht?«
»Das sind die Rätsel, von denen ich gerade gesprochen habe, Aquinnah Jane.«
»Was werden wir Montag finden, was glaubst du?«
Tante Dana legte den Pinsel hin, kam um die Staffelei herum und nahm sie in die Arme. Quinns Herz hörte auf zu rasen. Manchmal konnte sie nur eines dagegen tun: laufen, so schnell es ging, doch nun ließ sie zu, dass ihre Tante die Arme um sie legte und ihr über den Kopf strich.
»Was immer wir auch finden werden, ich werde bei dir sein«, flüsterte Tante Dana.
»Versprochen?«
»Versprochen.«
»Und wenn es etwas Schlimmes ist, Tante Dana?«
»Das stehen wir gemeinsam durch. Wir werden damit fertig, aber erst dann, wenn es so weit ist.«
Quinn schloss die Augen. Sie war froh, dass ihre Tante ihr nicht einreden wollte, sie solle das Ganze positiv sehen und dass sie nichts Schlimmes finden würden. Ihre Mutter hatte das bisweilen getan, sie angeschwindelt, um ihre eigenen Sorgen und Ängste zu kaschieren. Zum Beispiel über die Geschäftsreisen, und als Quinn ihrer Wut in ihrem Tagebuch Luft gemacht hatte, hatte ihre Mutter es zu allem Überfluss auch noch gelesen.
»Ich wünschte, wir hätten Martha’s Vineyard nie verlassen. Ich wäre gerne dort geblieben, immer, seit meiner Geburt.«
»Warum?«
»Es war unsere Insel, etwas Besonderes, der Ort, an dem ich zur Welt gekommen bin. Wir waren dort glücklich. Ich wünschte, wir könnten die Uhr zurückdrehen bis zu diesen Tagen …«
[home]
17
S ie pflügten an Bord der
Westerley
, des Forschungsschiffes, das Sam organisiert hatte, durch die Wellen. Dana, den Blick nach Osten gerichtet und Allie auf dem Schoß, sah zu Sam hinüber. Er lächelte ihr ermutigend zu, und sie erwiderte sein Lächeln, im kühlen Wind zitternd, der durch ihre Haare fuhr. Von Deck aus konnten sie praktisch direkt am Horizont Martha’s Vineyard sehen.
Dana dachte an die sorglosen, glücklichen Zeiten zurück, die Lily und sie auf der Insel verbracht hatten, bis Männer, Kinder und Verpflichtungen sie voneinander getrennt hatten. Das Schiff glitt durch den Sund, der Motor schnurrte.
Da das Schiff Yale gehörte, hatte Sam zwei graduierte Studenten als Crew mitgebracht – darunter eine hübsche junge Frau, zweiundzwanzig Jahre alt. Die
Westerley
war ein fünfundsechzig Fuß langer Trawler, von einem begüterten ehemaligen Absolventen der Abteilung für Meeresforschung vermacht und mit dem neuesten technischen Equipment ausgerüstet.
Sam war der Skipper. Dana, Allie und Quinn leisteten ihm Gesellschaft im Ruderhaus. Quinn konnte sich vergewissern, dass er ihre von Hand gezeichnete Karte vor sich ausgebreitet hatte, aber Dana bemerkte, dass er sich mehr auf das Schaubild und die Koordinaten des GPS verließ – des Satellitennavigationssystems – und sein Blick zwischen den Instrumenten und dem Kartentisch hin und her wechselte. Als er Dana ansah, rann ihr ein Schauer den Rücken hinunter.
Sie fühlte sich innerlich zerrissen. Einerseits wollte sie ihm uneingeschränkt vertrauen. Er opferte viel Zeit, um ihr und den Mädchen zu helfen. Ihr die Malfarben zu schenken war eine liebevolle Geste gewesen, die sie ihm nie vergessen würde. Doch als das Boot durch die Wellen stampfte, wurde die Erinnerung daran, in welchem Maß ihr Vertrauen schon einmal missbraucht worden war, wieder lebendig. Sie ertappte sich dabei, dass sie sein Verhalten ständig mit Jonathans verglich: Hätte Jon ihr auch so selbstlos geholfen? Wäre er genauso nett zu den Mädchen gewesen? War es nicht möglich, dass sich jemand trotz bester Absichten von der Leidenschaft für eine jüngere, hübschere, lebenslustigere Frau hinreißen ließ?
Verstohlen musterte sie die Studentin. Ihr Name war Terry Blackstone. Hochgewachsen, die langen blonden Haare wie
Weitere Kostenlose Bücher