Schilf im Sommerwind
zwischen den verkrüppelten Eichen und Strandkiefern entlang. Mit sicherem Schritt wechselte er von dem steinigen Weg in den weichen Sand über.
Er trug Jeans und T-Shirt, war zwangloser gekleidet als in der Galerie. Seine Arme waren gebräunt und stark, und sie fragte sich, was für Gewichte ein Ozeanograph wohl stemmen musste, um solche Muskeln zu entwickeln. Ihn aus der Ferne beobachtend, in dem Wissen, dass er sie nicht sehen konnte, schlug ihr Herz schneller.
Sam Trevor war ein attraktiver Mann. Sein Haar schimmerte im Licht des späten Nachmittags so golden wie das Gras, das in den Marschen wuchs. Er ging gemächlich, den Blick auf das Wasser gerichtet. Woran mochte er denken? War er den ganzen Weg von Firefly Beach zu Fuß gegangen?
Der Gedanke erschien ihr gefährlich und rief heftige Gemütsbewegungen hervor. Obwohl die Entfernung nicht sehr groß war – sie betrug nicht mehr als zwei oder drei Meilen –, kam ihr der Weg ziemlich beschwerlich vor. Sie konnte sich vorstellen, wie er die Felsvorsprünge überquert und die Wasserrinnen übersprungen hatte, die sich von der sumpfigen Niederung aus in den Sund erstreckten.
Was machte er jetzt? Er blieb stehen, drehte dem Wasser den Rücken zu, richtete seinen Blick auf den Hügel. Er sah das Haus an. Dana duckte sich im Sessel, wich vom Fenster zurück.
Seine Arme waren ausgestreckt, als wollte er ihr etwas geben. Ihr Herz klopfte, sie versuchte sich vorzustellen, was es sein mochte. Sie war völlig aufgelöst, seit sie hier war, gebrochen durch Lilys Tod, und wusste, sie sollte für jedes Geschenk dankbar sein. Sie sah durch den Feldstecher, wie Sam sich bückte und ein Stöckchen aufhob.
»Was gibt’s denn da draußen zu sehen?«, rief Quinn von der anderen Seite des Raumes.
»Nichts.« Dana starrte Sam unentwegt an.
»Mom hat immer alles Mögliche durch den Feldstecher beobachtet. Vögel, Fische … was ist es, ein Fischadler auf der Jagd?«
»Könnte sein«, sagte Dana mit rauer Kehle. Lily hatte in diesem Sessel gesessen, denselben Feldstecher an ihre Augen gepresst. Als sie an die Vögel dachte, die ihre Schwester beobachtet hatte, an die Fischadler, die sie beim Tauchen nach Beute entdeckt hatte, füllten sich Danas Augen mit Tränen.
Obwohl im Moment keine Fischadler in Sicht waren, beschloss sie, Sam im Auge zu behalten. Er ging hin und her, hinterließ Fußabdrücke auf ihrem Strand. Dann begann er, mit dem Stock etwas in den Sand zu zeichnen. Die Flut setzte bereits ein, und die Wellen schwappten über das silbrige Watt, dessen Boden steinhart war. Dana strengte ihre Augen an und sah, dass Sam nicht zeichnete, sondern etwas geschrieben hatte. Einen einzigen Buchstaben:
D
Dana verspürte einen Stich, als schlage ihr Herz schmerzhaft gegen die Rippen. Der alte vertraute Buchstabe glänzte im Licht der untergehenden Sonne, bestand aus einer geraden Linie und einer zweiten, die sich von der ersten trennte – sich entfernte und wieder annäherte, als hätte sie beschlossen, an ihren angestammten Platz zurückzukehren.
D.
So viele Worte begannen mit D: Distanz. Dahingerafft. Deauville. Durchdenken. Durchhalten. Daheim: Frankreich. Und natürlich Dana.
»Hat der Fischadler was gefangen?«, fragte Quinn eine Minute später.
»Noch nicht«, flüsterte Dana. Sam hatte begonnen, den gleichen Weg zurückzugehen, auf dem er gekommen war, der zum Little Beach und den anderen, dahinter liegenden Stränden führte. Sie betrachtete seinen breiten Rücken und überlegte, ob sie ihn einholen könnte, wenn sie schnell lief. Und was er sagen würde, wenn sie es täte.
Doch stattdessen richtete sie den Feldstecher, nicht weil es einfacher, sondern weil es das Einzige war, was ihr einfiel, auf den Buchstaben im nassen schimmernden Sand, auf die Glimmersprenkel, die wie schwarze Sterne funkelten, bis die Wellen sie mitrissen.
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3
M artha Underhill hatte ihr Leben lange Zeit genossen. Als waschechter Yankee in Connecticut geboren und aufgewachsen, waren ihre Ansprüche vergleichsweise bescheiden. Sie fuhr einen soliden Mittelklassewagen, einen Ford. Ihr Lieblingsgericht war Muschelsuppe mit Gemüse, und als Hauptgang gebackener Schellfisch mit Pommes frites. Obgleich sie noch an Hubbard’s Point hing, war sie in die Marshland Condos umgesiedelt, acht Meilen entfernt. Sie hatte sich in diese Wohnanlage für Senioren eingekauft, weil ihr die Arbeit in dem großen Haus über den Kopf wuchs. Sie war verheiratet gewesen mit Jim Underhill, dem Vater
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