Schilf im Sommerwind
ein Freigeist, und deshalb dachte ich, dass du zufriedener mit deinem Leben sein müsstest und darauf verzichtest, mich auf Schritt und Tritt zu überwachen.«
Dana zuckte zusammen und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
»So habe ich das nicht gemeint«, fuhr Quinn hastig fort. »Mom war einfach nur … streng, das ist alles.«
»Was meinst du damit, dass ich zufriedener sein müsste? War deine Mutter nicht glücklich?«
»Doch, schon. Ich habe das nur so gesagt. Vergiss es einfach, male, oder tu sonst etwas. Was hält dich davon ab?«
»Vom Malen?«
»Ja.«
»Das kommt schon noch.«
»Hoffentlich.« Quinn stellte ihre Schüssel in den Spülstein und verließ die Küche. Dana sah ihr nach. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf, schnell wie der Blitz. Was hatte ihre Mutter unlängst mit ihrer Bemerkung über Marks Geschäftsreisen gemeint?
Hatte er Lily betrogen? Dana konnte es nicht glauben und hielt es auch für unwahrscheinlich. Aber sie wusste aus eigener Erfahrung, dass so etwas passieren konnte. Ein Mann konnte die Frau, die er liebte, in seine geheimsten Wünsche einweihen, um ihr gleich darauf – wenn sie vom Tod ihrer Schwester derart in Mitleidenschaft gezogen war, dass sie weder malen noch mit ihm schlafen oder auch nur aufmerksam zuhören konnte – das Herz zu brechen, indem er diese Fantasien ohne sie verwirklichte.
Es war inzwischen höchste Zeit, Allie zum Schwimmunterricht anzumelden, und so begab sich Dana auf die Suche nach Handtüchern und verdrängte, was Quinn und ihre Mutter gesagt hatten, genau wie die Tatsache, dass sie nicht einmal den Wunsch zum Malen verspürte.
Quinn hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie Tante Dana gegenüber so verschlossen wie eine Auster gewesen war. Die Sache war nur die, dass sie solche Annäherungsmanöver schon zehn Meilen gegen den Wind riechen konnte. Nähe herzustellen war nicht in jedermanns Interesse. Seit der ›Galgenfrist‹, die sie in letzter Minute auf dem Flughafen erhalten hatten, war Quinn dermaßen erleichtert und dankbar, dass sie sich die größte Mühe gab, jedem Ärger aus dem Weg zu gehen. Sie machte jeden Morgen ihr Bett. Sie verzichtete darauf, Allie zu hänseln. Ihre Lungen waren zurzeit eine Nichtraucher-Zone. Als kein Granola mehr da war, hatte sie ohne Murren mit den Cheerios vorlieb genommen.
Aber heute Morgen wäre ihr um ein Haar ein Fehler unterlaufen. Als sie mit Tante Dana in der Küche saß, wie früher mit ihrer Mom, und drauf und dran war, sich auf ein Gespräch einzulassen. Tante Dana hatte gestanden, dass sie am liebsten bei Sonnenaufgang male, und Quinn wäre um ein Haar herausgerutscht, dass sie
um diese Zeit am liebsten ihr Tagebuch schrieb
.
Alarmstufe Rot, Sturmflagge, Sirenengeheul!
Wie dumm war sie eigentlich? Da hätte sie Tante Dana gleich das Tagebuch geben und sie auffordern können, im Lehnstuhl Platz zu nehmen und es zu lesen! Trotzdem musste sich Quinn im Nachhinein ein dickes Lob aussprechen. Sie hatte ein erstklassiges Versteck gefunden. Es war weit vom Haus entfernt – ein Fußmarsch von einer Viertelstunde –, und allein dieser Faktor verbürgte seine Sicherheit.
Tante Dana war Quinns Mutter ähnlicher, als sie sich vorstellen konnte. Auch sie sah es gerne, wenn die Mädchen kreativ waren. Ihr Blick wurde weich, wenn das Wort malen oder schreiben fiel. Wenn Quinn gesagt hätte, dass es ihr Spaß machte, bei Sonnenaufgang Geschichten zu schreiben, hätte Tante Dana ihr gewiss mit der Bitte zugesetzt, zu lesen, was sie zu Papier gebracht hatte.
Nette kleine Geschichten, würde sie denken, von Kindern, Hasen, Schalentieren und zahmen Delphinen. Oder vielleicht würde sie bei einer Zwölfjährigen Jungen-Geschichten erwarten, zum Beispiel, wie das hübsche Mädchen und der wohlerzogene Knabe zur South-Brother-Felseninsel ruderten, um dort ein Picknick zu veranstalten.
Von wegen; drei Mal darfst du raten!
Quinn wanderte durch das Haus. Tante Dana war mit Allie zum Strand gegangen, um sie für den Schwimmunterricht anzumelden, und Quinn hielt durch den Feldstecher nach ihnen Ausschau. Da waren sie ja, hatten sich am anderen Ende des Strandes zu den wenigen Müttern und Kindern gesellt, die ihre Ferienwohnungen bereits bezogen hatten. Es spielte keine Rolle, dass Allie auch ohne fremde Hilfe bis zum Ponton kam, dass Quinn ihr Seiten- und Rückenschwimmen beigebracht hat, eine Technik für Fortgeschrittene, die auch beim Rettungsschwimmen angewandt wurde. Es entsprach der
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