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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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bebaute und die Immobilien verkaufte, war Lily davon nicht sehr angetan. Sie war ein naturverbundener Mensch. Sie liebte die weitläufigen Wälder und Felder. Warum immer neue Häuser in der idyllischen Landschaft errichten, die teilweise unter Naturschutz stand, wo es doch genug schöne, alte gab?
    »Soll ich dir ein Frühstück machen?«, fragte Dana. Sie erinnerte sich, wie sie Lily ermutigt hatte, diplomatischer zu sein. Wenn sie als Frau eines Bauunternehmers der Meinung war, dass jedermann in bereits errichteten Häusern wohnen solle, würde sie die Arbeit ihres Mannes weiß Gott nicht unterstützen.
    »Nein danke, ist nicht nötig«, erwiderte Quinn.
    »Ich fand es immer herrlich, wenn meine Mutter Pfannkuchen oder Waffeln buk.«
    »Wir essen nur am Wochenende etwas Warmes zum Frühstück.«
    »Ich sehe hier keine Pfannkuchen-Polizei«, scherzte Dana. »Was hältst du davon, wenn wir gegen die Regeln verstoßen und Montag welche auf den Tisch bringen?«
    »Normalerweise esse ich Granola während der Woche. Grandma kauft es extra für mich, aber letzte Woche wohl nicht. Sie dachte ja, wir –«
    »Wir fliegen nach Frankreich«, beendete Dana den Satz und verspürte plötzlich einen Heißhunger auf Brioche und
Café crème
.
    Quinn errötete und griff nach der Cheerio-Packung. »Ist schon okay«, sagte sie rasch. »Ich nehme Allies Müsli. Sie hat sicher nichts dagegen.«
    Dana nickte und holte die entrahmte Milch aus dem Kühlschrank. Quinn sah die Tüte mit stoischer Gelassenheit an, dann goss sie Milch in ihre Müslischale. Dana war von Allie bereits aufgeklärt worden, dass sie Milch mit höherem Fettgehalt bevorzugten, die nicht an blau gefärbtes Wasser erinnerte. Sie hatte daraufhin begonnen, eine Liste zu schreiben, die sie an den Kühlschrank heftete, und die Mädchen gebeten, alle Lebensmittel zu notieren, die sie einkaufen sollte.
    Bisher waren die einzigen Einträge in Danas Handschrift verfasst. Sie vermisste ihre Freundinnen Isabel und Colette in Frankreich. Sie vermisste das Leben mit Jonathan – die Mahlzeiten, die sie gemeinsam in kleinen Straßencafés in Honfleur, an langen rustikalen Küchentischen oder an den Wochenenden in Paris eingenommen hatten. Sie vermisste die unzähligen Käsesorten, wie Reblochon, Ziegenkäse und Camembert. Sie sehnte sich nach
poulet fermier
und anderen Gerichten, die für die französische Küche typisch waren. Die Einkaufsliste war ein anschauliches Beispiel für die absonderlichen Veränderungen in ihrem Leben: Eis am Stiel, Spaghetti, Joghurt, Fruchtsaft. Sie blickte von der Liste zu Quinn, die stumm am Küchentisch saß und aß. Dana schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und leistete ihr Gesellschaft.
    »Warum setzt du nicht Granola auf die Liste?«
    Quinn zuckte die Schultern. »Brauche ich nicht wirklich.«
    »Wenn du möchtest, bringe ich dein Lieblingsmüsli mit.«
    »Cheerios reichen mir.«
    Dana trank einen Schluck Kaffee. Vor der Fahrt zum Flughafen hatte sich Quinn wie ein Berserker aufgeführt. Seit ihrer Rückkehr wirkte sie lammfromm und fügsam, als hätte sie Angst, schlafende Hunde zu wecken, oder befürchte, ein falscher Ton könne ihre Tante veranlassen, es sich anders zu überlegen und sie ins nächste Flugzeug zu verfrachten.
    »Warum gehst du jeden Morgen auf Wanderschaft?«
    Quinn fasste mit der linken Hand an ihren Kopf und begann verstohlen, an ihren Zöpfen zu ziehen. »Weiß nicht.«
    »Du bist früh unterwegs. Noch bevor Allie und ich aufstehen.«
    »Oh, tut mir Leid, wenn ich euch aufwecke.«
    »Nein, tust du nicht. Ich möchte nur wissen, was in dir vorgeht.«
    Bei diesen Worten verfinsterte sich Quinns Miene. »Wozu willst du das wissen? Was soll schon in mir vorgehen? Nichts Interessantes jedenfalls. Ich schaue mir nur gerne den Sonnenaufgang an.«
    »Ich auch. Um die Tageszeit male ich am liebsten«, sagte Dana, doch dann bereute sie es gleich wieder. Sie hatte schon fast seit einem Jahr nicht mehr bei Sonnenaufgang gemalt.
    »Ich mag die Morgenstunden besonders gerne, weil ich …«
    »Weil du was?« Dana beugte sich vor, als wollte sie Quinn die Worte einzeln aus der Nase ziehen. Sie hätte wirklich gerne gewusst, was in ihrer Nichte vorging. Quinn hatte ihre Geheimnisse, eine ganze Welt, die sie in sich verschloss; Dana sah es an ihren zusammengepressten Lippen, an den Schatten unter ihren Augen.
    »Du bist genau wie Mom.« Quinn klang plötzlich traurig.
    »Ist das schlecht?«
    »Du bist Malerin. Alle behaupten, du wärst

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