Schilf im Sommerwind
Dana?« Er trat näher.
»Lass das, Sam.« Ihr Herz begann zu klopfen.
»Du weißt es doch, oder? Was ich empfinde –«
Sie schüttelte den Kopf, stieß ihn weg. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf. »Hör auf damit«, sagte sie harsch. »Ich versuche hier, meiner Rolle einigermaßen gerecht zu werden. Das ist schwierig genug. In meinem Leben ist nichts mehr so, wie es einmal war –«
»Ich weiß, Dana. Ich möchte helfen.«
»Dann hilf Quinn. Nicht mir!«
»Was habe ich getan, um dich zu verletzen?« Eine Kummerfalte bildete sich auf seiner Stirn.
»Nichts!«
»Wer war es dann? Sag es mir! Ich würde dir die Bürde gerne abnehmen, wenn ich könnte.«
»Wie denn?« Sie war bestürzt, als sie die Bitterkeit in ihrer Stimme hörte. Sie kannte das Shakespeare-Zitat von der verschmähten Frau, die in ihrer Wut zu allem fähig ist, aber mit Jonathan machte sie ihre erste Erfahrung als betrogene Geliebte.
»Was ist passiert, Dana?«, fragte er sanft.
Sie sah Monique wieder vor sich, das hübsche Gesicht ins Kissen gepresst, Danas Blick ausweichend. Und Jonathan, der sich vom Sofa hochzurappeln versuchte, um die Decke zu erwischen und seine Blöße zu bedecken. Dana zuckte zusammen. Sie hatten wie zwei Halbwüchsige ausgesehen, die von den Eltern erwischt worden waren und am liebsten im nächsten Mauseloch verschwunden wären.
Hatte sie unbewusst versucht, Monique zu ›kaufen‹, als Ersatz für ihre Schwester? Sie dafür bezahlt, dass sie Modell saß – als Meerjungfrau – und ihr Gesellschaft leistete, wenn sie malte, die Landschaft von Monet und Boudin erkundete, den Erzählungen über ihre Familie, die grünen Reisfelder und die Strände ihrer fernen Heimat lauschte, die sie kaum gekannt hatte. Zwei Frauen im Exil, die eine älter, die andere jünger, weit weg von den Menschen, die sie liebten.
Und das Ende war, dass Dana von den beiden jungen Menschen verletzt worden war, die sie unter ihre Fittiche genommen hatte.
»Was immer es auch gewesen sein mag, ich spüre, dass du mir nicht vertraust«, sagte Sam, als er sah, dass Dana keine Anstalten machte, mit ihm zu sprechen. »Ich wünschte, es wäre anders.«
Dana spähte über die kleine Bucht hinaus auf den Lichtstrahl von Quinns Taschenlampe, der stetig näher kam. Sam stand unmittelbar hinter ihr, sein warmer Atem streifte ihre Wange. Er hielt Quinns Geld in der Faust. Als er es Dana reichte, berührten sich ihre Hände, und ihre Blicke trafen sich.
Sein Blick war fest, beharrlich. Seine blaugrünen Augen schimmerten wie das Nordlicht. Sie starrte ihn an, schenkte dem Glühen, das seine Finger auf ihrer Haut hinterlassen hatten, keine Beachtung und wappnete sich, verschloss ihr Herz, während Mozarts Violinklänge den Raum füllten.
»Du versuchst, Quinn zu helfen«, sagte sie. »Das hat nichts mit mir zu tun.«
»Das glaubst du«, erwiderte Sam leise und wandte sich ab, als der Strahl der Taschenlampe die große Bucht durchquerte.
Quinn bedauerte, dass Sam nicht dageblieben war, um sich von ihr zu verabschieden. Ihr graute außerdem vor dem Gedanken, dass Tante Dana nächsten Monat nach New York fahren wollte, und wenn auch nur für einen Tag. Alles, was aus dem gewohnten Rahmen fiel, erinnerte an Veränderungen, an Dinge, die einem entglitten, an Menschen, die nur für ein paar Stunden das Haus verließen und auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Sie dachte an ihre Nachbarin, Rumer Larkin, die sich um die Natur in Hubbard’s Point kümmerte: um wild lebende Vögel und Kaninchen. Quinn wollte es genauso machen, mit allem, was im Meer lebte. Darum würde sie sich kümmern …
Als sie im Bett lag, wünschte sie sich, sie hätte ihr Tagebuch mit nach Hause genommen. Sie hatte sich die Finger wund geschrieben über den Hotdog-Stand, mit dem sie das Geld für Sam verdient hatte, und dass sie heute in die Nähe des Hunting Ground gesegelt waren. Segeln lag ihr im Blut … außerdem hatte sie eine Mission zu erfüllen und konnte nun die ersten, echten Fortschritte verzeichnen.
Sternenlicht schien durch das Fenster. Allie schnarchte am anderen Ende des Flurs vor sich hin, sabberte Kimba im Schlaf voll. Die Treppe knarrte, und Quinns Herz klopfte wie verrückt. Das war genau das Geräusch, das ihre Mutter immer gemacht hatte, wenn sie nach oben kam, um den Mädchen einen Gutenachtkuss zu geben.
Die Tür ging auf, und Tante Dana kam herein. Sie setzte sich auf die Bettkante.
»Aquinnah Jane«, flüsterte sie.
»Aquinnah bedeutet
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