Schilf im Sommerwind
›hohe Ebene‹«, flüsterte Quinn zurück. »Ich wurde nach dem Hügel benannt.«
»Dem schönsten Teil der Insel.«
»Können wir einen Ausflug dorthin machen?«
»Irgendwann.«
»Immer heißt es irgendwann. Mommy hat dauernd das Gleiche gesagt. Warum nicht Samstag oder morgen oder jetzt gleich?«
»Irgendwann ist besser. Es bedeutet über kurz oder lang, und das ist jederzeit möglich.«
»So habe ich das noch nie betrachtet.«
»Sag mir eines, Quinn, du Gipfelstürmerin …«
»Was?« Quinn lachte geschmeichelt.
»Was hat die Tauchaktion zu bedeuten?«
»Woher weißt du …« Die Frage traf sie so unverhofft wie ein Schlag in die Magengrube.
»Ich weiß alles. Schließlich bin ich deine Tante.«
»Hat er es dir verraten?« Sie ging nicht auf den scherzhaften Ton ihrer Tante ein.
»Ich habe zufällig gehört, was du gesagt hast. Und gesehen, wie du ihm das Geld gegeben hast.«
Quinn ballte die Fäuste und versuchte, tiefer unter die Decke zu rutschen. Sie war so dicht am Ziel: die Antworten waren
zum Greifen nahe
. Sam würde berichten, was er bei seinem Tauchgang entdeckt hatte, und dann würde sie endlich
Bescheid wissen
.
»Ich bin nicht böse auf dich.«
»Aber auf Sam.«
»Schon möglich. Doch das ist eine Sache zwischen ihm und mir, darüber musst du dir nicht den Kopf zerbrechen. Ich wünschte nur, du wärst zuerst zu mir gekommen.«
»Du würdest es nicht verstehen«, flüsterte Quinn. Das Blut rauschte in ihren Ohren so laut wie ein Güterzug.
»Lass es doch auf einen Versuch ankommen.«
»Sie haben es absichtlich getan.« Quinn hätte nicht sagen können, ob ihr die Worte tatsächlich entschlüpft waren, aber das mussten sie wohl, denn Tante Dana zuckte zusammen.
»Wie kannst du so etwas sagen? Quinn, Lily hätte Allie und dich nie alleine gelassen, um keinen Preis der Welt. Ich weiß es. Ich bin ihre Schwester …«
»Und ich bin ihre Tochter.«
Draußen brandeten die Wellen an den Strand. Normalerweise lullten sie Quinn in den Schlaf, aber heute Abend dröhnten sie wie Hammerschläge in ihren Ohren. Sie hasste das Wasser in diesem Augenblick, aber gleichzeitig sehnte sie sich danach, auf den Wogen dahinzusegeln.
»Sag mir, warum du denkst – wie du auf die Idee kommst, sie könnten so etwas getan haben.«
»Weil der Albtraum Wirklichkeit geworden ist.« Quinn rang ihre Hände. »Mom hat zu Dad gesagt, jetzt sei alles aus; er habe es weggeworfen.«
»Was weggeworfen, Quinn?«
»Ihr Leben. Ihr Leben, hat sie gesagt.«
»Du hast gehört, dass deine Mutter genau diese Worte benutzt hat?«
Quinn schloss die Augen, ihr Gesicht war heiß und nass vom Weinen. Sie hatte im Bett gelegen, wie jetzt, und die Worte durch die Wand gehört. Sie hörte ihre Stimme auch jetzt, sie übertönte die Wellen, die Quinn heute Abend abgrundtief hasste; ihre Mutter hatte ihren Vater angeschrien, an dem Abend, als die beiden starben.
»Quinn? Waren das ihre Worte?«
»Ja.«
»Was hat sie damit gemeint?«, fragte Tante Dana in die Dunkelheit hinein.
»Ich weiß es nicht«, stöhnte Quinn. Heute Abend hatte sie das Gefühl, in einem Windkanal gefangen zu sein: lang, dunkel und erfüllt von einem endlosen Dröhnen. Sie hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst, aber ihre Tante Dana legte die Arme um sie und versuchte, sie zurückzuhalten.
»Wir werden es herausfinden, einverstanden, Quinn? Ich muss es auch wissen. Wir stehen das gemeinsam durch«, sagte Tante Dana, an ihre Nichte gekuschelt.
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13
D ana war sich nie sicher gewesen, was sie von Zufällen halten sollte. Manchmal nahm sie einen praktischen Standpunkt ein, wenn beispielsweise zwei Leute den gleichen Gedanken hatten oder beschlossen, zur gleichen Zeit das Gleiche zu tun, was nach ihrer Ansicht unwahrscheinlich, aber möglich war. Doch bisweilen gelangte sie auch zu der Schlussfolgerung, das Schicksal müsse seine Hand im Spiel haben. Als Sam an diesem Morgen, nahezu eine Woche nach ihrer letzten Begegnung, ›zufällig‹ in der Cresthill Road aufkreuzte, genau in dem Moment, als Dana zu ihrer Mission aufbrechen wollte, war sie sich nicht sicher.
»Was machst du denn hier?« Sie ging um den VW -Bus herum auf die Fahrerseite. Gut gekleidet, stützte er sich auf das Lenkrad und sah ihr mit einem Lächeln in die Augen, das sie erbeben ließ. Sie konnte den Blick nicht abwenden.
»Dir helfen. Das sagte ich ja schon.«
»Obwohl du glaubst, dass ich dir nicht vertraue.« Sie bemühte sich immer noch, ihren Blick von ihm zu
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